Erste Missionstour: Mit Friedrich Stenger per Anhalter nach Marokko

Mein ehemaliger Klassenkamerad Günther Mayer hat mich darauf aufmerksam gemacht: In der Missionszeitschrift KONTINENTE, die von missio und vielen (Missions)Orden regelmäßig herausgegeben wird, ist auch ein Hinweis auf die jüngst verstorbenen Afrikamissionare/Weiße Väter zu finden. Und so werde ich auf meinen Namensvetter Friedrich/Fritz Stenger aufmerksam. Er gehörte mit mir zu dem Kurs, der im Sommersemester 1964 sein Philosophiestudium in Trier in der Dietrichstraße 30 begonnen hat. In Aschaffenburg am 22. Dezember 1942 geboren hat er in Groß-Umstadt unweit von Großkrotzenburg entfernt sein Abitur abgelegt und sich dann entschlossen, Missionar in Afrika zu werden. Und wie das halt so nach dem Abitur war, als Jugendlicher hat man den Kopf voller Pläne und Fantasien. So kamen Fritz und ich auf die Idee, schon einmal irgendwie Afrika, unser späteres Tätigkeitsfeld, zu erkunden. Ein weiterer Umstand beflügelte unsere Intention: P. Edele, der damals in Trier Pädagogik in Englisch dozierte, hatte von einem Wohltäter eine BMW-Isetta geschenkt bekommen.

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Der Versicherungsschein für die BMW-Isetta


Damit konnte er zu Aushilfen am Wochenende fahren. Allerdings schien dem Pater dieser fahrbare Untersatz nicht geeignet und so wollte er ihn verkaufen. Jetzt sahen Fritz und ich eine einmalige Chance und wir kauften das Zweipersonengefährt für 80 DM von dem Pater, um damit in Richtung Afrika aufzubrechen. Wenn auch nur langsam, kam man doch damit einige Kilometer durch die Lande. Natürlich musste das Ganze erst einmal ausprobiert werden und wir erkundeten die nähere Umgebung als Alternative zu den regelmäßigen Spaziergängen. Die anfängliche Freude und Begeisterung führten jedoch alsbald zu einem ernüchternden Ergebnis, als nämlich bläulicher Rauch aus dem Auspuff unseres Gefährts uns zunehmend begleitete. Eine Rückfrage in einer Werkstatt ergab das Ergebnis, dass die Kolbenringe erneuert werden müssen, auch die Reifen seien nicht mehr in gutem Zustand und man sollte alsbald eine größere Wartung durchführen. Schweren Herzens haben wir uns dann wieder von dem Gefährt getrennt und konnten es mit einem kleinen Verlust an einen Interessenten außerhalb unserer Reihen verkaufen.

Somit begann die Afrikareise per Anhalter an einer Straße hinter Trier. Zu dieser Zeit waren derartige Fortbewegungsmöglichkeiten noch unkompliziert realisierbar. Und so sind wir auch über Frankreich in relativ kurzer Zeit an die spanische Grenze gekommen. Die erste größer spanische Stadt, die wir aufsuchten, war San Sebastian.

Rast

Abb. 2 Bei einer Rast auf einer Parkbank in San Sebastian; Friedrich rechts

Mangels anderer Übernachtungsmöglichkeiten mussten wir mit einer Parkbank Vorlieb nehmen. Die spanische Sprache war uns nicht bekannt, dafür konnte Fritz sehr gut französisch und das hat uns unweit der Grenze und auch später während der gesamten Fahrt gut geholfen, zumal in Marokko französisch weit verbreitet war. In Spanien war Auto-stopp nicht gut möglich; hier hat kaum ein Fahrzeug gehalten, wenn man mit erhobenem Daumen am Straßenrand stand. Dafür gab es aber bei der Bahn sehr preisgünstige Kilometertickets. Für 60 DM konnte man 3000 km zurücklegen; das war ausreichend für die Fahrt durchs ganze Land von Norden nach Süden und wieder zurück. Dass da entsprechende Reservierungen zu erfolgen hatten, erahnten wir zwar, konnten wir aber nicht realisieren. Also stiegen wir in den überfüllten Zug Richtung Madrid mit ein und mussten uns zwischen diversem Gepäckmaterial und Reisenden auf dem Gang aufhalten. So lernten wir auch zwei marokkanische Studenten kennen, die auf dem Heimweg von Paris nach Fès, ihrer Heimatstadt waren. Dies ist eine der drei größten Städte von Marokko. Hier kam uns wieder sehr zu Hilfe, dass Fritz ausgezeichnet französisch sprechen konnte und wir uns lange mit den jungen Marokkanern unterhielten. Schließlich haben sie uns eingeladen, sie in Ihrer Heimatstadt zu besuchen: „Also wir treffen uns dann am BAB BOUJELUD in Fèz! Erste große Station war zunächst Madrid; hier konnten wir bei den Weißen Vätern unterkommen und ein junger Pater hat uns auch gleich zum Besuch eines Stierkampfes am Abend eingeladen. Freilich war dann auch noch ein Besuch im weltberühmten Prado angesagt. Schließlich ging‘s mit der Bahn nach Süden bis Algeciras, sodann mit der Fähre nach Tanger. Und dort erlebten wir eine andere Welt, wir waren in Afrika. Zwei bis drei Wochen sollte es jetzt durch den nordafrikanischen Staat gehen: per Anhalter oder per öffentliche Verkehrsmittel. Anhalter zu fahren war fast unmöglich; einmal gabs es zu wenige Autos, andererseits waren diese meist schon überladen mit Gütern und Personen. So blieben uns meist lediglich die nur an wenigen Stellen verkehrenden Bahnen oder Busse. Auch die sogenannten drittklasse Eisenbahnen waren ein echtes Erlebnis: Überfüllung, Mitnahme von allerlei Tieren, Gerüche wie aus tausendundeine Nacht. Zur Übernachtung fanden wir meist unseren Jugendherbergen ähnliche Schlafstätten, allerdings in höchst bescheidener Ausführung und immer wieder mussten wir wegen des Preises verhandeln. Hier war Fritz die entscheidende Hilfe. Und viele Marokkaner waren des Französischen auch mächtig. Die verschiedenen Ereignisse der Fahrt haben uns noch jahrelang begleitet: Basare, Essen mit Einheimischen, lokale Spezialitäten, Krabbeltiere aller Art etc. Weiße Väter waren in Marokko unbekannt, allerdings gab es in Rabat Kirchen so auch die Kathedrale mit Bischofssitz. Natürlich haben wir als Theologiestudenten an diesen Kirchen angeklopft und um Unterstützung gebeten, was uns auch meist gewährt wurde. An ein besonderes Erlebnis in der Kathedrale von Rabat erinnere ich mich gut: Da sollte eine Diplomaten-Hochzeit mit großer Gästezahl stattfinden. Da man keinen Organisten hatte, fragte man mich, ob ich die Festlichkeit mit Orgelmusik bereichern könnte. Da ich bescheidene Orgelspielkenntnisse hatte, sagte ich natürlich zu und bekam schließlich ein fürstliches Honorar, außerdem konnten wir im Pfarrhaus übernachten. Ein nächster Höhepunkt war Marrakech, unser südlichster Reisepunkt. Hier war die Welt schon richtig orientalisch; für uns höchst beeindruckend: schier endloser Basar, Marktplatz mit unzähligen Essensangeboten, arabische Kultur durch und durch, abwechslungsreiches Abend- und Nachtleben. Da es damals dort noch recht wenige europäische Touristen gab, waren wir natürlich für die Leute eine Attraktion; die Händler und Köche boten uns in überschwänglicher Gastfreundschaft alle möglichen Getränke und Speisen an, die wir unbedingt verkosten mussten, andernfalls wären die Leute zu tiefst beleidigt gewesen. Auch hier half uns wieder Fritz mit seinen guten Französischkenntnissen. Zudem wollten wir freilich etwas die Umgebung dieses marokkanischen Zentrums erkunden. Also liehen wir uns Fahrräder aus und fuhren, wie wir dachten, in Richtung Wüste. Die Sandpisten waren beeindruckend und gut zu fahren. Bei sengender Sonne kamen wir schließlich in ein kleines Dorf; hier war natürlich mit Französisch nichts mehr zu machen; hier konnte nur die Zeichensprache weiterhelfen. Ein wichtiges Wort, hatte wir schon gelernt: lima= Wasser. Und damit hatten wir Erfolg und die verwunderten Dorfbewohner gaben uns dann gern auch etwas zu trinken. Die Heimfahrt über die Sandpiste brachte auch noch einige Überraschungen, da der Weg vielfach von stachligen Kakteen eingesäumt war. Und es kam, wie es kommen musste, nach einigen Kilometern steckten mehrere Stacheln in unseren Reifen. Da wir keinerlei Werkzeug oder eine Luftpumpe dabeihatten, blieb uns nur Schieben. Immer wieder haben andere Radfahrer angehalten, die uns den Reifen aufgepumpt haben, sodass wir einige 100 Meter wieder fahren konnten.

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Abb. 3 Fritz an einem großen Stadttor in Fes

Der Höhepunkt der Reise war dann einige Tage später in Fès. Wir gingen zu dem besagten Tor und fanden sofort ohne viel Suchen unsere beiden Bekannten aus dem Zug in Spanien. Das war ein echtes Hallo. Diese erwiesen uns dann wahre arabische Freundschaft; wir lebten in der Familie der beiden und lernten so das Leben der Einheimischen authentisch kennen: Couscous mit echtem Widderkopf, Lavabo vor dem Essen, Lagern zum Essen u.v.m. All das wäre nicht möglich gewesen, wenn Fritz nicht gut französisch gesprochen hätte.

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Abb. 4 Mit marokkanischen Freunden auf dem Stadtrundgang in Fes

Bemerkenswert waren auch die Toiletten. Normalerweise sind diese an den Moscheen. Dort durften wir als Fremde aber nicht hin. Hier im Haus gab es auch so etwas: Da war ein kleines Loch im Steinboden, sonst kein Papier, keine Tür, kein Fenster nur der offene Dachausschnitt. Wenn wir diese Örtchen benutzen wollten, mussten drei Bewohner die Zugänge absichern, damit keine Frau in die Nähe kommen konnte… Und zum Schlafen legte man sich einfach hin, wo man gerade gegessen hatte. Zweimal haben wir dort übernachtet; tagsüber haben uns die beiden Studenten die Sehenswürdigkeiten der Stadt gezeigt. Eigentlich sollten wir zu einer Hochzeit in den nächsten Tagen bleiben, leider mussten wir aus Zeitgründen absagen. Außerdem war uns das spezielle Leben zu beschwerlich. Der ganze Aufenthalt in Afrika endete damit, dass ich mir die Ruhr geholt habe, nachdem ich bei einem Busstopp aus einem Wasserloch am Straßenrand getrunken hatte. Folglich sind wir auf dem schnellsten Weg wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Trotz allem hat diese Reise einen bleibenden Eindruck hinterlassen und auch eine spezielle Freundschaft mit meinem Namensvetter vertieft. Unsere Wege trennten sich nach dem Noviziat in Hörstel und wir hatten kurz einmal E-Mail-Kontakt aufgenommen, als Fritz im Generalat in Rom weilte. Ich denke, Fritz war mit Leib und Seele Missionar, wenn er auch verschlungene Wege zurückgelegt hat.

Stadecken, 05.07.2021

Hajo Stenger

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