Einkehrtag

Irgendwann hieß es, wir hätten einen Einkehrtag. Klasse! dachte ich, bis Raimund Pousset mich darüber aufklärte, dass es sich dabei um etwas Geistlich-Besinnliches handelt und nicht um einen Wirtshausbesuch. Schade! war mein nächster Gedanke.

„Referent“ dieses Tages war bei uns Älteren an der Schwelle zur Pubertät ein fremder Pater; wenn ich nicht irre, ein Franziskaner. Und der hielt uns einen – sicher sehr gut gemeinten – Vortrag über Sexualität. Ich bin mir aber fast sicher, dass dieses Wort überhaupt nicht gefallen ist. Was sich mir aber unauslöschlich einprägte, war sein Rat, den ich aus verständlichen Gründen – Gott sei Dank – nicht gehalten habe. Dieser Rat begann sinngemäß mit der Feststellung, dass von uns Jungen doch nicht alle Missionare würden. Und dann sagte er (ich zitiere wörtlich): „Jungs, und denkt immer daran: der erste Kuss in eurem Leben gehört eurer Frau!“

Der meinte das bestimmt ernst! Mit weiterer Entwicklung der Pubertät im Kontext der mittlerweile sehr legendären späten 60er Jahre war dieser Rat nicht viel wert, weil nicht einzuhalten und daher irgendwie sinnlos.

Nützlich ist er mir bis heute jedoch insofern immer noch, weil ich an diesem authentischen Beispiel im Reli-Unterricht zeigen kann, wie sich die Einstellungen zu Moral und Sexualität in einem halben Jahrhundert geändert haben. Vor allem bringe ich heutige Schülerinnen und Schüler damit regelmäßig zum Lachen.

So möchte ich – wenn auch spät – sagen: Danke dir unbekannter Franziskaner.

Stefan Lutz Bachmann

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