Mein erster Eindruck von Haigerloch im April 1956

Schröter Diese Fotopostkarte wurde etwa ab 1957 im Hauslädchen verkauft, nachdem die alten Vorkriegskarten mit der Hausansicht alle vergriffen waren. Die Aufnahme dürfte etwa von der Schlosskirche aus gemacht worden sein. Wenn man das Bild nach unten verlängern könnte, würde man die Gleise der Hohenzollerischen Landesbahn sehen, denn hier unten war der Bahnhof. An diesem kam ich von Frankfurt kommend mit drei weiteren Schülern im April 1956 an (ich glaube, es war der 9.4.1956). Man musste dann die Koffer nach oben schleppen. Genau wusste ich nicht, was mich dort oben erwarten wird, aber ich war optimistisch. Zu sehen ist der obere Teil des Weges, über dem linken Haus. Er führt schräg nach oben, eingefasst von Tujahecken. Damals war dieser Weg nur geschottert, erst später wurde er asphaltiert. Die drei anderen, die mit mir aus Frankfurt angereist waren, waren zunächst zwei ältere Schüler der oberen Klasse Untertertia. Es waren die Gebrüder Reith, Josef und Fritz. Sie waren aus unserer Pfarrei Heilig-Kreuz in Frankfurt-Bornheim. Ihr Vater hatte einen etwas größeren Schlosserbetrieb und die Mutter hatte sich immer 12 Kinder gewünscht; ich glaube, es sind aber nur 11 geworden. Die Mutter war die Grand Dame, Unternehmersfrau. Mir und meinem Freund, das war der Vierte im Bunde, hatte sie großzügig jeweils ein Federdeckbett spendiert, das die Kinderchen im Winter nicht frieren sollten. Wie sich dann später herausstellte, war das auch dringend notwendig, denn im Winter waren oft Eisblumen an den Schlafsaalfenstern und es konnte schon einmal vorkommen, dass das Wasser an den Waschbecken einzufrieren drohte. Der Vierte hieß übrigens Friedel May und war mein Freund und Mitmessdiener in der Pfarrei gewesen. Somit war ich nicht ganz allein.

Ich ging mit den anderen den Weg zum Missionshaus hinauf und wir gelangten an die große Pforte in der Mitte des Gebäudes. Das war jedoch nicht der Eingang, sondern wir mussten um das Haus herumgehen und kamen so in den Innenhof. Was uns damals als erstes auffiel, war die Tatsache, dass die anderen Schüler, denen wir so der Reihe nach begegneten irgendwie dörflich oder provinziell wirkten. Da wähnten wir uns als Stadtkinder schon als etwas Besseres. Obwohl von der Stadt kommend, jedoch dort in einer kleinen Mietswohnung wohnend, verbreitete das Haus bzw. besonders das Foyer einen grandiosen Eindruck: breite Treppen, hohe Decken, große Räume. Auf jeden Fall wurden wir dann, vermutlich von irgendeinem Pater, auf die Schlafsäle verteilt. Für uns - ich wurde gleich in die Quinta eingestuft, weil ich in Frankfurt schon drei Jahre lang die Mittelschule besucht hatte - war der große Schlafsaal im ersten Stock vom Treppenaufgang rechts hinten vorgesehen. Am Türeingang hing schon ein Plan mit den Namen und so konnte ich mein eigenes Bett unter den 20-30 anderen leicht finden. Um in den Schlafsaal zu kommen, musste man zuerst einen schmalen Gang durchschreiten, an dessen beiden Seiten sich die Holzspinte aufreihten. Der Holzboden roch nach Bohnerwachs und schien in den letzten Ferien aufgefrischt worden zu sein.

Hier in diesen beiden Räumen herrschte schon ein wuseliges Treiben, denn da waren noch andere Schüler, die auch ihre Sachen auspackten. Da ja die Namen am Eingang standen, konnte ich nun die ersten Kameraden identifizieren. Und die ersten Gespräche ergaben sich: "Bist Du der Stenger? Wo kommst du denn her? ..." Wen ich damals als ersten angesprochen habe, weiß ich nicht mehr genau. Sehr laut wurde da nicht gesprochen und gelegentlich zischte ein seit einiger Zeit dort heimischer Bub „Silentium“. Damit konnte ich zunächst nichts anfangen, denn das war ja Latein und ich hatte auf der Frankfurter Mittelschule nur drei Jahre lang Englisch und Französisch gelernt. Und so nach und nach wuchs ich hinein in das Haus, in die Hausgemeinschaft, in die Schule, in die Weißen Väter, was letztlich für mich alles identisch gewesen ist.

Am Abend im Bett gingen mir nochmals die letzten Tage durch den Kopf: Da hatten wir, der Friedel und ich, unseren Heimatpfarrer Georg Nilges vor ein paar Wochen angesprochen und ihn gefragt: "Wie können wir Pfarrer werden?" Und dann nach einiger Zeit erschien in der Woche nach Ostern ein gewisser P. (Adolf) Eisele und sagte uns, dass wir, um unser Ziel zu erreichen, nach Haigerloch ins Missionshaus kommen müssen. Und es geht am Montag nach dem Weißen Sonntag los. Und spontan haben wir uns entschlossen, diesem Aufruf zu folgen, ohne alle Konsequenzen und Folgen zu bedenken. Und dann schlief ich ein im Eisenbett mit harter Strohmatratze, inmitten von fast 2 Dutzend Gleichaltrigen ...

Hajo Stenger

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