Besuch der Missionsschule in Rietberg

Alltag im Internat

Mit dem Ruf »Benedicamus Domino« (»Lasst uns den Herrn preisen«) wurden wir im riesigen Dormitorium früh morgens aus dem Schlaf gerissen. Wir antworteten alle »Deo gratias!« (»Gott sei Dank«). Am Bett kniend verrichteten wir ein kurzes Morgengebet und begaben uns anschließend zu den vielen Waschbecken, um unsere Morgentoilette zu erledigen. Ein Pater beobachtete uns manchmal bei diesen Zeremonien. Um sechs Uhr verrichteten wir in einem der größeren Klassenzimmer unser alltägliches Morgengebet, das etwa fünfzehn Minuten dauerte. Im Silentium ging es nun zur Hauskapelle. An drei Altären begann gleichzeitig die Morgenmesse in lateinischer Sprache, nachdem wir vorher noch eine geistliche Einstimmung durch den Aufsicht führenden Pater bekommen hatten. Es war ulkig, zuzusehen, welcher Zelebrant zuerst mit seiner Messe fertig war. Allen galt aber der Hauptgottesdienst am Hochaltar. Der tägliche Kommunionempfang war eine Selbstverständlichkeit. Im hinteren Raum der Hauskirche nahmen die Brüder des Ordens, die Novizen, das Hauspersonal sowie die Ordensfrauen, die das Waisenhaus betreuten, am Gottesdienst teil. Nach der heiligen Messe ging es zum Bettenmachen zurück in den Schlafsaal. Jeder musste seine Schlafstelle im Eisenbettgestell peinlichst genau herrichten. Der Strohsack wurde aufgelockert und hochgeplustert. Das Kopfkissen musste mit seinem Häckselinhalt kräftig durchgeschüttelt werden. Ein ausgebreitetes weißes Leinenbetttuch bedeckte die Strohmatratze. Dann wurde ein weiteres Bettlaken aufgelegt, darüber zwei dicke Wolldecken, die mit dem zweiten Leinentuch zum Kopf hin etwa dreißig Zentimeter umgeschlagen werden mussten. Das fertige Bett wurde häufig kontrolliert. Vor Winterbeginn stopften wir unsere »Schlafsäcke« mit neuem Stroh aus, weil das alte durchgelegen war. Nach der Herrichtung unserer Betten machten wir uns in unsere Studiensäle auf, um noch Vokabeln zu lernen oder Sonstiges für den Unterricht vorzubereiten.

Um Punkt halb acht ging’s ins Refektorium zum Frühstück. Das Geschirr war aus Aluminium. Zum Kaffeetrinken standen Schälchen bereit, aus denen wir Malzkaffee tranken oder auch eine Art Milchsuppe vorgesetzt bekamen. Dazu zwei Brotschnitten mit etwas Margarine und Marmelade, das war’s dann schon. Um acht Uhr begann der Unterricht, der bis 11.45 Uhr dauerte. Dann ging es die Treppe hoch zur stillen Betrachtung. Zwölf Uhr schlug die hohe Standuhr zum Angelusbeten. Das anschließende Mittagessen im großen Speisesaal war spärlich, reichte aber aus. Die Aluminiumschüsseln, Teller und Besteck erzeugten einen klirrenden Lärm. Beim Essen selbst herrschte Silentium. Auf einem erhöhten Pult im Refektorium saß der Lektor, der während des Essens laut Missionsgeschichten vorlas. Die Tischgebete sprachen wir in lateinischer Sprache. P. Superior betete vor, und alle am Tisch befindlichen Patres, Novizen, Brüder und Schüler sprachen die Wechselgebete. Eine kleine Tischschelle, die immer nur der Superior des Hauses bediente, beendete die Mahlzeit. Jeder musste dann mit dem Essen fertig sein. Nach dem lateinischen Dankgebet zogen Schüler, Patres, Novizen und Brüder die Treppe hinauf zur Kapelle. Auf dem Weg dahin beteten wir abwechselnd den Bußpsalm »Miserere mei, Deus«. In der Kapelle angelangt, verstummte das monotone Gebet. Dieser Psalm wurde auch nach dem Abendessen in gleicher Weise gebetet. Nach kurzem Gebet für die verstorbenen Missionare in Afrika, für die Wohltäter und Angehörigen, endete der Aufenthalt in der Klosterkapelle. Im großen Hausflur blieben die Schüler vor der Muttergottesstatue an der Wand noch einmal zu einem kurzen Gebet für alle Afrikamissionare stehen.

Auf dem Schulhof konnten wir uns nun austoben. Ich spielte leidenschaftlich gerne Tischtennis oder Fußball. Den Tischtennisschläger hatte ich selbst gebastelt, der Fußball ging beim harten Kampf oft kaputt. Dann musste er geflickt werden. Um 14 Uhr begann der Nachmittagsunterricht, der bis um 16 Uhr dauerte. Nach dem Kaffeetrinken ging es dann zur Handarbeit über, von der ich bereits berichtet habe. Bei guter Witterung beteten wir danach draußen im Garten den Rosenkranz. Anschließend erledigten wir unsere Hausaufgaben. In den einzelnen Studiensälen und im ganzen Hause galt das Silentium, die Stille, was von allen streng befolgt werden musste. Kurz vor 19 Uhr gingen wir zur Aussetzung wieder in die Kapelle, wo die Monstranz mit dem Leib des Herrn auf den Tabernakel gestellt wurde. Im Oktobermonat verrichteten wir jeden Abend das Rosenkranzgebet. Auch die geistliche Lesung, die P. Superior durchführte, gehörte zum täglichen Programm. Nach dem Abendessen um 19.30 Uhr fand die Abenderholung statt, zuvor aber war von allen wiederum das Misereregebet in lateinischer Sprache gesprochen worden. In der Abendzeit vor dem Schlafengehen konnte jeder das tun, was ihm gefiel. Im Sommer wurde Fußball gespielt. Im Herbst und Winter standen Karten-und Schachspiel im Vordergrund. Um 20.30 Uhr hielten wir uns zum langen Nachtgebet wiederum in der Kapelle auf. Dabei herrschte fünf Minuten lang Stille. Jeder sollte über seinen Tag reflektieren, an die Angehörigen zu Hause denken und für sie beten. Meine Gedanken waren bei Vater, Mutter und meinen Geschwistern. Mit dem lateinischen Choral »Sancta Maria«, der laut durch das still gewordene Haus hallte, endete der Tag, und im Silentium verbrachten wir die Nacht bis zum frühen Wecken. Tiefe Ruhe herrschte nun im großen Saal.

Freise, Hans. Lebenswege hinterlassen Spuren (German Edition) (Kindle-Positionen969-973). Books on Demand. Kindle-Version.


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