15o Jahre Weiße Väter (AFMI) - ein Blick auf die Chronik

Geburtsstunden Anderthalb Jahrhunderten hat sie in diesem Jahr auf dem Buckel – sie die international aufgestellte Truppe der Weißen Väter und belegt ihre Jubiläumsreife mit einer ganzen Reihe eingefahrener Erfolge sowie abgearbeiteter und auch noch nicht bewältigter Schwierigkeiten. Ihre weder am Kalender noch am Alter festzumachende Daseinsberechtigung erfährt sie über ihren zeitlos, und damit immer jungen Einsatz für Afrika und dessen Menschen, nachzulesen eigentlich täglich im politischen Teil jeder Zeitung. die etwas auf sich hält. In der eigens zum Jubiläum aufgelegten Chronik „Geburtsstunden“ (zu haben bei: Provinzservice/ Köln) legen die deutschen Jubilanten die über lange Jahren verästelten Wurzeln frei und beleuchtet (andeutungsweise selbstkritisch) die in diesem Zeitraum zurückgelegten Schritte (auch die deutschen).

Mit dem damit erbrachten Beweis dessen, was sie ist und was sie will, bedankt sie sich auch bei allen mit Rat, Tat und Spenden irgendwie am Projekt „Evangelisierung Afrikas“ Beteiligten und versucht mit der Präsentation des als lust- und auch leidvoll Erfahrenen Appetit auf künftig noch mehr - an Einsatz, Unterstützung und vor allem an Erfolg – zu generieren.

Dies hoffentlich nicht gegen alle Hoffnung, wenn nun in Deutschland die Lichter für die Weißen Väter in Bälde aus zu gehen drohen und damit die Glocken, die zum stolzen Jubiläum läuten, die Sterbestunde einläuten. Letzteres wäre gerade heute in der notwendigerweise auch bei uns öffentlich zu führenden multikulturellen Auseinandersetzung mehr als ein herber Verlust, haben doch die ‚Afmis‘ auftragsgemäß seit ihrer Gründung die gegenseitige Achtung der Menschen durch Toleranz und den damit verbundenen und auch dafür so dringlich notwendig anstehenden Dialog zwischen den Religionen und Kulturen nicht nur auf ihrem Geburtsschein, sondern auch auf ihrer selbstverständlichen und hoch aktuellen Agenda!

Doch da hinter der Erfolgsgeschichte leibhaftige Menschen stehen, die die Gründe zum Jubeln per Einstellung und Einsatz geliefert haben - und dies nun schon seit 15o Jahren - ist mehr als nur formhalber Dank geboten in besonderem Maße an all jene, die bewusst und freiwillig das Kostbarste, was sie je in ihrem Leben haben und hatten, ihr eigenes Leben nämlich, in den Dienst des Unternehmens „Weiße Väter“ gestellt haben – in persönlicher wie kollektiver Bescheidenheit, im Dreierpack einer speziellen Partnerschaft und in der Verpflichtung zur Brüderlichkeit mit den Afrikanern. Und wir, wir machen vom Rande der Arena aus die grundgelegte Einstellung wie auch die konkrete Umsetzung gerne fest an manchem unserer Haigerlocher Mitschüler, der in Afrika malocht hat und dies vielleicht immer noch dort oder inzwischen in der Heimat tut, in irgendeiner Seniorenkommunität lebt oder unter dem Rasen ruht...

Doch – und das unterschlägt die Chronik - haben auch wir damals in aller Seriosität, zu der ein Kind fähig ist, ein Stück von unserem eigenen Leben dem „Abenteuer Afrika“, was die Weißen Väter als Angebot in ihrer Pipeline hatten, reell und nachweislich geschenkt. Und man beachte: Zu einem Zeitpunkt, wo es in einem Menschenleben so richtig rumst, weil Weichen mit lebenslangen Konsequenzen mit Caracho reingehauen werden. Damit tanzt die besagte Jubelveranstaltung auch ein wenig für uns, die wir immerhin ein Stück unseres Lebens - und nicht „auf Verdacht“ sondern vorbehaltlos der Idee von Lavigerie geschenkt haben¸ damals: weder der Kindheit noch den Kindereien entfleucht. . - Womit das Problem, wer wem und wofür zu danken hat, eigentlich geklärt sein müsste, und sich auch die Frage sich erübrigt, wer da denn alles feiern darf.

Die zum Geburtstag aufgelegte Chronik „Geburtsstunden“ ist nachdrücklich allen zur Lektüre zu empfehlen, die sich selbst einmal – und bitte nicht auf (verkorkste!) Probe – in lokal, zeitlich und personell eng begrenztem Rahmen in dieser Bewegung bewegt und auf ihre Weise für Bewegung gesorgt haben. Auch dies spricht das Jubiläumsbändchen dankenswerterweise (S. 37) an, wobei mir allerdings der dort angeführte „apologetische“ Versuch von Franz Pfaff etwas problematisch erscheint, wenn er das Fehlverhalten damals der für die Erziehung Verantwortlichen gegen die Weißglut entfachenden Umtriebe der sich stinknormal im körperlich/ geistigem Umbruch befindlichen pubertierenden Schüler aufrechnet. Sollten unsere Vorturner von damals denn wirklich so inkompetent gewesen sein? Da sind die belegbaren Hinweise auf die traumatisierten Heimkehrer aus Krieg, Gefangenschaft und Internierungslagern schon gewichtiger (S.1o u.a.), die man in jesuitisch/ militärischem Gehorsam à la Lavigerie mit dem Erziehungsauftrag auf uns ‚Zöglinge‘ losgelassen hat, um genau diesen Gehorsam bei uns - zwecks späterer unproblematischer Verwendung- in einer guten Sache - zu züchten. Allerdings lässt sich trefflich darüber streiten, ob der Frust über den Einsatz bei Letzteren geringer war als bei denen, die den Erziehungsauftrag vollstrecken mussten. Dies dürfte den erbetenen “versöhnlichen Umgang“ (S. 36) der „Geschundenen“ (griechische Diktion) mit diesem erlebten Stück Vergangenheit zwar nicht überflüssig, aber leichter machen. Vor allem aber nötigt es mehr als Respekt ab für jene, die ihren Einsatz in Afrika ernsthaft als ihren Lebensentwurf festgezurrt hatten, diesen jedoch wegen widriger Umstände nie umsetzen durften, oder weil das „Gesetz es anders befahl.“ (S.29, ff).

Wenn ich es „auf metaphorisch“ versuchen darf: Die Beschreibung eines zum Fluss gewordenen Baches kann nicht jeden einzelnen Tropfen zwecks Entstehung, Weg und Beschaffenheit auseinander nehmen, zumal doch vorrangig am Ergebnis aufgezeigt werden soll, was die Tropfen insgesamt, also der Fluss in Lauf und Wirkung zustande gebracht hat. Die Güte des Wassers in ihrer ursächlichen Abhängigkeit von der Qualität der einzelnen Tropfen ist mitgedacht. (Vielleicht hilft auch der Griff in den Sack mit volksmundlichen und biblischen Sprüchen zu einer zusammenfasssenden, jubiläumsgerechten Wertung des Wirkens der Weißen Väter an uns, ob segensreich oder auch nicht. Hier ein kleines Angebot: „Ende gut – alles gut! An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen! Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade! Wer nicht geschunden wurde, ist auch nicht erzogen! Was Gott tut, das ist wohlgetan! Gott bedient sich auch manchmal falscher Propheten! “) Die von Franz Pfaff aufgemachte Gleichung jedoch, dass das erlittenes Unbill durch humanistische Bildung aufgewogen sei, ist genauso fragwürdig, wie die Behauptung, dass die allermeisten der ehemaligen Heimschüler mit Lebensweise und Behandlung damals zufrieden gewesen wären (S.37). Dies ist wohl kaum zu beweisen; doch die große Zahl jener in gänzlicher Versenkung und auf Nimmer-Wieder-Sehen in der Versenkung Verschwundenen spricht eher für das Gegenteil, flankiert von jenen, die bekanntermaßen damals aus Kummer nachts in ihr Kissen geweint oder in ihr Bett gepinkelt haben. Darüber können jedoch nur die Betroffenen selbst authentisch Auskunft geben!

Sei‘s drum: Ein Schelm, wer den Weißen Vätern die Anerkennung für 15o-jähriges redliches und erfolgreiches Bemühen verweigert! Doch es gibt sehr wohl jubiläumsbedingt einiges nach zu fragen, nicht um vor den Kadi zu zerren, sondern um Klarheit darüber zu erhalten, in welcher Intention und aus welcher grundgelegten Gesinnung heraus manches so geschah, wie es geschehen ist, weil es bis heute Spuren hinterlassen hat. Verständlich, wenn sich bei den ehemaligen Missionsschülern -ich meine jene „ohne Missionarsabschluss“ - diese Neugier auf jene Wegstrecke kapriziert, in der man quasi symbiotisch mit den Weißen Vätern hautnahe Gemeinschaft unter einem Dach gebildet hat. Dies gibt dieser exklusiven und speziellen Verweildauer im Nachhinein einen ganz anderen Stellenwert, als wenn Haigerloch einer der zahlreichen (abgehakten) Durchlaufposten ‘unter ferner liefen‘ in einem Weiße-Vater-Leben gewesen ist.

Die jetzt vorgelegte Chronik bezieht dazu nicht Stellung; kann und will sie auch nicht. Sie kommt an als eher nüchterne Leistungsbilanz und klopft keine Einzelschicksale ab auf innere Befindlichkeit und persönliche Entwicklung. Die wenigen Personen, die sie als ‘Leuchttürme‘ (89 ff.) setzt, beleuchten die für das gesetzte Ziel der Organisation dienlichen Beiträge (samt eventuellen Störfeuern von außen) und nicht, was diese Beiträge für den Beitragenden bedeutet oder mit ihm gemacht haben. Idole sind - außer das aussagekräftige und mit Bedacht gesetzte Reinheitsidol Aloisius für Haigerloch (S.36) - Fehlanzeige, und selbst die Wesen und Werte bestimmenden Ideale für die Mitglieder der Organisation sind gut verpackt in die wenigen Handlungs- und Einstellungsmaxime (S.19), Belege heute für ihre Richtigkeit, die der Stifter im Rucksack seiner Soldaten und auf den Standarten seiner Bataillone sehen wollte. Die Chronik ist weder Gesinnungsfibel noch emotionales Erbauungs-Traktätchen. Und wer unbedingt die gesammelten Freuden und Leiden ehemaliger Missionsschüler nachlesen möchte, der sei auf das verwiesen, was Freddy dankenswerterweise auf der ‘Klepfer-Website ‘ zusammen getragen hat – da gibt’s zu lachen und zu weinen. Auch bleibt zu bedenken, dass diejenigen, die den Erfolg für die „Bewegung“ eingefahren haben, bei demselben pädagogisch/ religiösen Unterbau wie wir, auf ihre Art glücklich geworden sind - bei ganz bestimmt kräftigen Korrekturen am ursprünglichen, persönlichen Lebensentwurf und all den Erwartungen, die sie damals nach Haigerloch mitgebracht haben. Bei ihnen ist die ‚Erziehung‘ im Sinne des Erfinders aufgegangen; doch darum war sie keineswegs schlecht bei jenen, die „Gottes ersten Ruf“ nicht richtig kapiert hatten und deshalb ein zweites Mal gerufen/ berufen werden mussten – und im zweiten Anlauf dann mit ganz anderem Ziel. Die Chronik aktiviert die Neugier nach Klärung, ob es nur dem Geist von damals geschuldet war, als sich alle religiösen Einrichtungen in der Manier der Weißen Väter, auch die Diözesen in sogenannten Konvikten, so oder ähnlich ihren Nachwuchs gesichert haben. Oder lag sogar ein Konzept vor und welches – in Abstimmung mit welchem Menschenbild - wenn damals Kinder im empfindlichsten Entwicklungsstadium ihres Lebens eingesammelt und auf ‚Mini-Mönche‘ getrimmt worden sind – dies durchaus im Schlagschatten der geltenden monastischen Ideale: Armut, Keuschheit, Gehorsam? Und auch ganz im Sinne von Lavigerie, dem Gründer der Weißen Väter, der diese Einstellung allerdings von reifen, entscheidungsfähigen Männern und nicht von Unmündigen eingefordert hat. (In Irland hat irgendwann nach dem Krieg die Pressemeldung, die Weißen Väter würden Kinder aus armen Familien in Heimen sammeln, um so ihre Personalbeschaffung zu regeln, einen mittelprächtigen Shitstorm ausgelöst!)

Die Behauptung klingt böse und tendentiös, die Chronik werfe für ‘Schrumpf-Weiße-Väter‘ (ehemalige Zöglinge) mehr Fragen auf, als sie beantworte – z.B. auch die, warum bis in die 7oer Jahre Heim und Schule – mit ihrer ganz unterschiedlichen Zielsetzung – ein und dasselbe waren und damit die Patres gleichzeitig und in Personalunion als Lehrer in der Schule, als Erzieher im Heim und als geistliche Instanz im obligatorisch stark zu frequentierenden Beichtstuhl herhalten mussten - und für die meisten ohne eine dem Auftrag entsprechende kindadäquate Qualifikation außer der, sich selbst einmal auf der Piste getummelt zu haben? Musste dies nicht automatisch zu seelischen Kollisionen und Komplikationen nicht nur bei (den) Schülern führen? Auch die Frage steht im Raum, warum der Gehorsam so rigide (dem humanistischen Bildungsideal zum Trotz und in Beachtung der für das tägliche Zusammenleben notwendigen und berechtigten Spielregeln), so exklusiv und intensiv, wie geschehen, eingeübt werden musste und nicht am Ende eines Reifungsprozesses als frei und freiwilige Entscheidung stehen konnte. Viele in und außerhalb der eigentlichen Weiße-Väter-Bewegung haben es zu ihrem Glück und zum Segen für die gute Sache trotzdem geschafft – auch das ist eine gute Botschaft am 150-sten Geburtstag, neben all den anderen zu Erfolgen und zielführenden geistigen Einstellungen!

Dazu das jüngst übermittelte Kompliment ‘echt katholischer Güte‘ von einem ehemaligen Mitschüler aus Haigerloch-Zeiten:

„Eigentlich wäre ich schon längst wegen der Unehrlichkeit des Bodenpersonals und dem Protzverhalten ihrer Häuptlinge aus der Kirche ausgetreten, gäbe es nicht die Weißen Väter, die mich durch ihre gelebte Bescheidenheit und praktizierte Offenheit davon überzeugt haben, dass Kirche auch richtig ticken kann!“ (Hans Müller, Karlsruhe)


Schon darum: „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag - und weiter so!“.. - wobei man allerdings über das „So“ reden sollte.

Jochen Schulz, 24.6.2018

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