Impressionen aus dem Missionshaus Haigerloch

Das folgende sind bruchstückhafte Erinnerungen aus dem Internatsleben in Haigerloch.

  • Der "Postminister" hatte die Aufgabe, jeden Tag während der Handarbeitszeit mit einem Handkarren in die Stadt aufs Postamt zu gehen um die Pakete abzuholen. Dies war ein begehrtes Amt, einfach deshalb, weil man in die Stadt kam und auch mal etwas einkaufen konnte. Ich hatte das Amt eine Weile inne und habe mir da manchmal einen Bienenstich vom Bäcker gegönnt.
  • Apropos: Pakete. Auf diese warteten wir immer mit großer Sehnsucht. Die Wäsche wurde ja zum Waschen nach Hause geschickt und wenn sie zurückkam, waren in der Regel auch irgendwelche "Fressalien" dabei, die uns das Leben versüßten. Bei besonderen Gelegenheiten gab es auch reine "Fresspakete", die mit den anderen geteilt werden mussten.
  • Während der Mittagspausen durfte ich auf meinem Akkordeon üben, was ich auch fleißig gemacht habe. Das Geübte durfte ich beim Kartoffelschälen oder auch bei manchen Festen im Speisesaal vortragen, was für mich immer mit großer Nervosität verbunden war.
  • Der Schwabentag war ein Sport- und Spieletag während der Sommerferien, bei denen sich die Schüler aus der näheren und weiteren Umgebung trafen. Ich hatte da unglaublichen Spaß daran und habe die älteren Schüler, welche das richtig gut organisierten, wie Konrad Mayer oder Jakob Weber enorm bewundert. Ich erinnere mich noch sehr gut an eine kabarettistische Vorführung, als einer von den älteren Schülern sang: "Hab'n se nicht 'nen Pons für mich".
  • Der Nikolausabend war immer besonders spannend, vor allem da man nicht wusste, wer die Rolle des Ruprechts spielen würde. Der Ruprecht war ein echter Wüstling, der seine Rute nicht gerade zaghaft einsetzte. Ich fand es trotzdem spannend und aufregend. Einmal war die Überraschung besonders groß, als mein Freund und Klassenkamerad Dixie den Ruprecht spielte. Er hatte absolut nichts verraten und als Nikolaus und Ruprecht in den Speisesaal kamen, gab es auch keinerlei Schonung für irgendwelche Kumpel oder Klassenkameraden.
  • In der Sexta entdeckte ich so richtig die Lust am Lesen. Hermann Weiß, der vom Bodensee stammte, hatte mir mit Karl May den Mund wässerig gemacht und ab da war ich infiziert. Ich habe einen Karl May nach dem anderen verschlungen und war einfach fasziniert von dieser Welt. Da entwickelte sich auch die Lust auf andere Lektüren, beispielsweise die Jugendbücher aus dem Arena-Verlag oder die Abenteuerbücher von Herbert Kranz. Eigentlich durfte man nur im sogenannten "Freistudium" lesen, aber das hat bei unserem Wissensdurst einfach nicht gereicht und man hat häufig mit Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen, obwohl es verboten war. Aber diese Welt war einfach zu spannend. Ich bin mir nicht sicher, ob ich in meiner häuslichen Umgebung auch so zum Lesen animiert worden wäre wie im Missionshaus.
  • (Vor)gelesen wurde auch während der Mahlzeiten, wobei uns eine große Bandbreite an Lektüren vorgesetzt wurden. Das konnten Heiligen- oder Märtyrerlegenden sein, aber auch eine Lausbubengeschichte wie "Flachskopf". Um ehrlich zu sein, während des Essens hätte ich viel lieber geredet, aber heute verstehe ich die Patres, die wahrscheinlich froh waren, dass sie nicht das Geschrei von 50 oder mehr Jungen während des Essens ertragen mussten.
  • Im Herbst wurde in den Dörfern ringsum Kartoffeln gesammelt. Weil ich aus Stetten stamme, "durfte" ich damals mitgehen. Die Begeisterung war deshalb nicht so groß, weil da das Heimweh hochkam und ich schwer mit dem Kloß im Hals zu kämpfen hatte. Dieses Heimweh war glücklicherweise immer sofort verschwunden, wenn ich wieder unter den Klassenkameraden war.
  • Beim Jubiläumsfest 2014 traf ich auch Anton Wasmer, einen ehemaligen älteren Mitschüler, wieder, der mich damals durch seine Malerei sehr beeindruckte. "Wamsli", so sein Spitzname, malte wunderschöne Landschaftsbilder aus dem Schwarzwald, auf denen Landschaft, Tiere und Stimmungen den Zauber seiner Heimat authentisch wiedergaben. Ich selber habe damals vieles von ihm abgemalt, aber habe seine Perfektion nicht annähernd erreicht.
  • In der Untersekunda hatten wir auch so etwas wie eine Band. Sie bestand aus Schlagzeug, Gitarren und Akkordeon. Ich weiß noch, wie wir uns an "Skinny Minny" und "Pretty Woman" versuchten, glaube aber im Nachhinein, dass die Versuche eher erbärmlich waren, was uns nicht daran gehindert hat, fleißig zu üben und dabei Spaß zu haben.
  • Radio zu hören, war ja nicht erlaubt (siehe auch den Bericht über den "Radiomann" von Michael Schönherr). Es ist ja schon interessant, wie man damals versucht hat, weltliche Einflüsse von uns fernzuhalten. Trotzdem wurde meiner Erinnerung nach sehr viel Radio gehört. Meistens waren es kleine Detektoren, die man mit der Dachrinne verband, damit man überhaupt den einen oder anderen Sender mit einer unterirdischen Empfangsqualität empfangen konnte. Mit einem solchen Gerät habe ich meinen ersten Song von den Beatles (Komm gib mir deine Hand) gehört und ich kann kaum beschreiben, wie fasziniert ich von diesem völlig neuen und frischen Klang, der sich Mersey-Beat nannte, war. Ich fand zwar die Stimmen ungewöhnlich hoch für Männer, aber das Gesamterlebnis war für mich einfach berauschend und weil es so schön war, hatte ich überhaupt kein schlechtes Gewissen dabei, obwohl mich dieses bei anderen Gelegenheiten gewaltig plagte.

  • Alfred Epple, 13.7.2015

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