Josef David Reith - ein Paradiesvogel flog in den Himmel

Der Name Josef Reith erinnert mich an meinen ersten Tag in Haigerloch, der 9. April 1956: „Die drei anderen, die mit mir aus Frankfurt angereist waren, waren zunächst zwei ältere Schüler der oberen Klasse Untertertia. Es waren die Gebrüder Reith, Josef und Fritz. Sie waren aus unserer Pfarrei Heilig-Kreuz in Frankfurt-Bornheim. Ihr Vater hatte einen etwas größeren Schlosserbetrieb und die Mutter hatte sich immer 12 Kinder gewünscht; ich glaube, es sind aber nur 11 geworden. Die Mutter war die Grand Dame, Unternehmersfrau. Mir und meinem Freund, das war der Vierte im Bunde, hatte sie großzügig jeweils ein Federdeckbett spendiert, dass die Kinderchen im Winter nicht frieren sollten. Wie sich dann später herausstellte, war das auch dringend notwendig, denn im Winter waren oft Eisblumen an den Schlafsaalfenstern und es konnte schon einmal vorkommen, dass das Wasser an den Waschbecken einzufrieren drohte. Der Vierte hieß übrigens Friedel May und war mein Freund und Mitmessdiener in der Pfarrei gewesen. Somit war ich nicht ganz allein.“
Josef war mit seinem ein Jahr jüngeren Bruder im April 1955 nach Haigerloch gekommen. Der ältere Josef startete mit Untertertia, während Bruder Fritz zunächst die Quarta besuchte. Lange haben es die beiden in Haigerloch nicht ausgehalten, Fritz hat am 24. Februar 1957 und Josef am 5. April 1957 das Missionshaus wieder verlassen. An Josef kann ich mich noch schwach erinnern; er spielte gelegentlich das Harmonium im Gottesdienst, ansonsten hatten wir mit den „größeren Schülern“ wenig zu tun, obwohl wir doch eigentlich vieles gemeinsam machten, so Gottesdienste, Essenszeiten, Erholung, Spaziergänge. Auch hatte ich den Eindruck, dass die Patres den Kontakt von älteren und jüngeren Schülern nicht gerne sahen.
Zwölf Jahre später ergab sich ein neues Zusammentreffen mit Josef: Ich hatte das Studienhaus der Weißen Väter in London-Totteridge verlassen und war an die philosophisch-theologische Hochschule St. Georgen in Frankfurt gewechselt. Und dort begegnete mir u.a. ein alter Bekannter Josef Reith. Hier spielte Josef im Gottesdienst die Orgel und drei seiner damaligen Kurskollegen haben noch gute Erinnerungen an ihn; so berichten Martin Geisz, Clemens Scheitza und Winfried Heun: Unter Josefs Regie wurde in einem Altersheim ein von ihm gedichtetes Lied „Hört ihr schon den Knochenmann“ gesungen, was die alten Leute sehr erheitert hatte. Und als einmal der Osnabrücker Bischof zu Besuch kam und die Messe in vollem Bischofsornat gehalten hat, spielte Josef auf der Orgel „Ein Männlein steht im Walde … mit einem purpurroten Mäntellein“.
Außerdem hatte Josef ein Oratorium in Anlehnung an alttestamentliche Gegebenheiten getextet und komponiert sowie erfolgreich aufgeführt, dabei zeigten schwungvoll gemalte Noten das Auf und Ab des Lebens. So wurden die sieben Plagen mit Auftritt der biblisch beschriebenen Heuschrecken zu einem bemerkenswerten Event. Die umfangreiche Organisation hat Josef selbst in die Hand genommen: Er etablierte einen eigenen Chor mit Orchester. Außerdem hat er eine eigene Kabarettgruppe gegründet und mit zahlreichen Beiträgen für Nikolaus und das Sommerfest ausgestattet. Besonders hilfreich für seine kompositorischen Arbeiten war das spezielle Harmonium, das in seinem Zimmer stand und seine Kreativität beflügelte und zu neuen Einfällen inspirierte. Da ich damals schon als „Orgelbauer“ unter den Kommilitonen bekannt war, gab mir Josef einen detailliert ausgearbeiteten Plan, wie ich für ihn eine besondere Hausorgel bauen sollte. Leider ist aus dem Projekt nichts geworden. Inzwischen hatte sich Josef dem biblischen Vorbild folgend den Namen „David“ zugelegt, gilt dieser doch wie Josef selbst als musikliebender Gottesmann. Dass er bisweilen in Mönchskutte durch Frankfurt ging, gehört zu seinem Weltverständnis.
Josef hat dann St. Georgen verlassen und ist seine eigenen Wege gegangen, wohnte wohl auch einige Zeit im Spessart, wo die Firma des Vaters eine Zweigstelle unterhielt. Trotz seiner Exotik war Josef verheiratet und hatte eine Tochter. Nach Frankfurt-Seckbach zurückgekehrt war er Lehrer an der dortigen Grundschule, hat lange die Orgel in der Pfarrkirche gespielt und das immer wieder mit einem kleinen Pep und Gag zur Erheiterung der Leute. Die von ihm initiierten Kunstprojekte an der Schule haben großes Echo in der örtlichen Presse hervorgerufen. Außerdem hat er Kunst- und Malkurse angeboten und immer wieder großformatige Bilder mit örtlichen Motiven gemalt und ausgestellt. Über meinen Bruder erhielt ich oftmals Grüße von Josef, die ich gerne zurückgab. Die letzten Lebensjahre hat er dann in einer Senioreneinrichtung in Frankfurt, dem Lebenshaus St. Leonhard verbracht.
Und nun ist Josef mit 81 Jahren verstorben. Wenngleich ich die letzten Jahre keinen Kontakt mehr mit Josef hatte, so berührt mich doch sein Tod, ruft er immerhin einige Stationen meines Lebens in Erinnerung. Und ich kann es nicht verhehlen, irgendwie scheint mir die Welt ein bisschen ärmer geworden zu sein.

Todesanzeige von Josef Reith

Todesanzeige Josef Reith


Danksagung

Danksagung Josef Reith


Stadecken, den 21.07.2022
Hajo Stenger

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