Pyromanen

Wenn ich den „Rhein in Flammen“ oder die Heidelberger Schlossbeleuchtung sehe, fällt mir stante pede meine Karriere als Haigerlocher Pyrotechniker ein. Alfred Epple hat ja schon von der Mini-Variante in der Adventskerze erzählt, aber aus dieser tiefschürfenden Erfahrung heraus entwickelten wir Schritt-für-Schritt gar Großes. Die Grundchemikalien waren ja einfach zu finden, bzw. zu mopsen. Aus dem Gartenhaus mit seinen großen Säcken kam der Unkrautvernichter (Sorry, Br. Hatto?) und aus der Küche (Sorry, Frau Burghardt und Sr. Hildegard!) der Zucker. Das Material damals war also schnell geklaut, doch nun? Wie mischt man beides in welchem Verhältnis? Das Internet im Internat war noch nicht so nett zu existieren, aber wir hatten einen Vordenker: Klaus Moser, der schon beim Adventsfeuerwerk eine tragende Rolle gespielt hatte. Und wir experimentierten mutig, möglicherweise auch ein wenig hirnlos.
Ich weiß heute noch nicht, ob oder ab wann das hätte gefährlich werden können. Unser Frei-Labor lag hinterm Haus entlang der Thuja-Büsche zum Bahnhof runter. Da waren wir sichtmäßig schon gut platziert und die Dunkelheit der Winterabende machte unsere Camouflage perfekt. Ob Günther Hotz hier seine Berufung zum Militär verspürte? Jedenfalls begannen wir klein und vorsichtig. Erst kleine Häufchen aus Unkrautvernichter und mehr Zucker. Das zischte hübsch auf, explodierte aber nicht, brannte eher wie bengalisches Feuer. Mutig geworden, verschärften wir die Mixtur mit mehr Unkrautvernichter (ich glaube bis zu ¾), bis wir mit dem Ergebnis zufrieden waren und die halbe Schule anlockten. Kein Pater oder Bruder ließ sich sehen, glücklicher Weise; ihr rachgöttliches Erscheinen saß uns trotzdem stets im Nacken. Wir verfeuerten den ganzen Raub im gelb-rotem Licht und die teufelhaften Nebelschwaden wehten stinkend ins Tal. Pater Bumiller hätte vermutlich eine weiteren Beweis für das böse Treiben des Leibhaftigen gehabt. Aber auch er sah nichts. Die Munition war schließlich verschossen, wir stolz und glücklich.
Doch das Abenteuer hatte Suchtcharakter. Am nächsten Abend optimierten wir unser Pyro-Produkt. Tagsüber wurde Nachschub besorgt und diesmal inszenierten wir im großen Stil. Auf 10 – 12 Meter streuten wir den Explosivstoff sorgfältig in gehäufter Linie auf den geteerten Bahnhofsweg; weit genug weg von den Thuja-Hecken. Und dann angezündet! Die Flamme schoss die Linie entlang und entflammte die Mixtur zu einem grellen nächtlichen Schauspiel, wohl einen Meter hoch. Der rot-gelbe Schein flackerte in den Fenstern des Missionshauses und stiller Jubel klang. Ein solches Schaupiel bietet heute nur noch der „Rhein in Flammen“ oder das Heidelberger Schloss, wenn es vor dem großen Feuerwerk zur Erinnerung an die Zerstörung durch Louis XIV. (1693) etwa fünfzehn Minuten „in Brand“ gesetzt wird – ich bin sicher, die Feuerwerker benutzen unsere Mischung. Denn die Farbe ist exakt gleich und schön und am Ende glimmt das Feuer genauso runter wie bei uns. Ich kann mir hier ein fast fachmännisches Urteil erlauben, denn wir haben jahrelang gegenüber dem Heidelberger Schloss gewohnt und mehrmals jährlich die Haigerlocher Pyrotechnik in Aktion erlebt. Wer für den Zuckerklau übrigens seine Entschuldigung bei Sr. Hildegard abgeben will, der kann das heute jederzeit tun; sie schafft noch im hohen Alter von 87 Jahren fleißig in der Küche (2014).

Raimund Pousset

Zurück zu Erinnerungen