P. Raidt

Der persönliche Freund von Pater Superior Haag war Pater Alois Raidt. Beide waren schon als Missionsschüler in Haigerloch zusammen und haben gemeinsam den Weg bis zum Afrikamissionar geschafft, wobei meines Wissens beide als Weiße Väter nie über die Ordensprovinz Deutschland hinauskamen.Während Pater Haag eher der kleinere, sportlich, agilere Typ war, strahlte P. Raidt mit seinen knapp zwei Metern und mehr als zwei Zentnern Lebendgewicht eher den gemütlicheren behäbigen Menschenschlag aus. Auffallend war sein leises, hohes, fast zartes Stimmchen, was aber nicht über seine Schlagfertigkeit hinwegtäuschen durfte. Lachsalven löste er immer wieder aus, wenn er sich im Ave Maria beim „gebenenenendeit“ immer wieder selbst ausbremsen musste. Schon nach relativ kurzer Zeit löste er Pater Rudolf Schnez in der Funktion als Ökonom ab und nahm diese Aufgabe noch bei meinem Abgang war.

Unter anderem oblag es ihm als Ökonom nachmittags, beim „16 Uhr-Kaffee“, die Aufgaben für die Handarbeit zu verteilen. Bei manchen geliebt, bei vielen aber gefürchtet war die Einteilung zur “Gartenarbeit” bei Bruder Hatto. Je nach Jahreszeit musste Unkraut gejätet oder bei der Bohnen- Zwiebel oder Rübenernte geholfen werden. Manch junges, hoffnungsvolles Pflänzchen endete jäh unter den Hackhieben arbeitsfreudig-unwissender oder missmutig-unwilliger Missionsschüler.

Zwiebeln wenden
In einem Jahr fiel die Zwiebelernte sehr reichlich aus. Einigen von uns bereitete es besonderen Spaß Zwiebel wie Äpfel zu essen und die Mitschüler mit entsprechenden Ausdünstungen zu nerven. Um die Zwiebeln länger lagern zu können, mussten sie getrocknet und in der ersten Zeit wiederholt gewendet werden. Dazu wurden Sie auf einer der oberen Ebenen des riesigen Dachbodens ausgebreitet. Eines Tages wurden aus meiner Klasse Rolf Kotz, Egon Winz, Wolfgang Schilling und ich zum „Zwiebelwenden“ abgeordnet. Gleichzeitig sollten wir auch kaputte oder angefaulte Zwiebeln aussortieren. Wie so oft hatten wir schon nach kurzer Zeit keine Lust mehr für die eigentliche Arbeit und stellten allerhand Unfug an. Wolfgang, der sowohl ein recht guter Schüler und hervorragender Sportler war, machte sich einen Spaß daraus, mit den fauligen Zwiebeln Zielwerfen auf die offene Dachluke zu machen. Rolf und Egon, die ihm natürlich nicht nachstehen wollten, beteiligten sich alsbald auch daran, was natürlich zur Folge hatte, dass schon bald die eine oder andere Zwiebel durch das Fenster in den Innenhof flog.

Plötzlich drang aus dem Hof lautes Wutgeheul zu uns. Ein Blick nach unten offenbarte uns Pater Raidt mitten im Innenhof, mit schmerzverzerrtem Gesicht, dem die Reste einer faulen Zwiebel über den kahlen Schädel auf seine weiße Gandura tropften. Natürlich war uns sofort klar, dass uns jetzt nichts Gutes erwartete. Bevor wir uns entscheiden konnten, was jetzt zu tun war stand Pater Raidt — außer Atem und vor Wut schnaubend — in der Speichertüre.

Da ich nicht so flink und sportlich wie meinen Mitstreiter war, schickte ich mich in das Unvermeidliche und holte mir eine Ohrfeige ab. Rolf und Wolfgang lieferten sich aber mit Pater Raidt noch eine Verfolgungsjagd um die Speicherbalken. Der bemerkte sehr bald, dass er von der Wendigkeit her unterlegen war und positionierte sich mit dem Spruch „Ihr Krüppel, ich kann warten“ in der Tür, worauf sich auch die restlichen Mitstreiter geschlagen gaben. Zumindest durften oder mussten wir darauf nie wieder „Zwiebel wenden“.

Karoffel-Sortiermaschine
Bereits an anderer Stelle wurde auf die Kartoffelsammlungen eingegangen. Während meiner Zeit wurden keine Missionsschüler mehr bei den Sammlungen eingesetzt, wohl aber mussten wir helfen die angelieferten Kartoffeln zu sortieren und immer zu zweit in Körben in den Keller zu tragen. Dort wurde dann von dafür eingeteilten Schülern Lage für Lage ein rotes Pulver namens „Tixit“ gestreut, das die vorzeitige Keimung –nach Schülergerüchten auch noch andere unliebsame Erscheinungenverhindern sollte.

Während der Kartoffelsaison war in derWandelhalle eine Kartoffelsortiermaschine aufgestellt. Das war ein grünes, ungefähr tischhohes Gerät mit drei Sieblinien. Oben wurden in einen Trichter die Kartoffelsäcke entleert, das Ganze mit einer Exzentervorrichtung und einer Kurbel zum Rütteln gebracht und so auf der oberen Linie die großen Speiskartoffeln, die mittelgroßen auf der mittleren und unten die Futterkartoffeln für die Schweine ausgeworfen.

Natürlich war es uns verboten, das Gerät zweckzuentfremden, weshalb auf der in der Nähe hängenden Tafel ausdrücklich der Hinweis stand: „Die Sortiermaschine ist kein Spielzeug“ Trotzdem reizte es immer wieder, uns einmal richtig durchschütteln zu lassen. So saß ich auf der Maschine, während Klassenkamerad Rolf Kotz fleißig die Kurbel drehte. Plötzlich erschien aus den Gittern des Küchenfensters eine Hand und bedeutet uns, dass wir sofort ins Haus kommen sollten. Vor der Küchentür stand bereits Pater Raidt, in der einen Hand einen Bambusstock, den er mir auf die rechte Schulter legte, die freie Hand auf meine linke Schulter. Eigentlich befürchtete ich, dass ich meine Strafe jetzt mit dem Bambusstock erhalte, wobei ich diese Art der Züchtigung bisher nur vom Hörensagen kannte.

Pater Raidt, mit süffisant-sanfter, fast lieblicher Stimme begann folgenden Dialog:
„Kannst Du lesen?“:
„Ja Herr Pater Raidt, ich glaube schon.“:
„Was steht auf der Tafel“:
„Die Sortiermaschine ist kein Spielzeug“:
„Wieso habt ihr dann gespielt“:
„Wir haben nicht gespielt, wir haben für heute Abend geübt“:
„Das nenne ich dumm, frech und ungezogen“:
Rumms! Jetzt erhielt ich einen Schwinger, der mich gefühlte zwei Meter Richtung Wand schweben ließ.:
Kampfgefährten Rolf ging es anschließend nicht besser.:
Das war übrigens der letzte Hieb den ich in meinem Leben durch eine fremde Person erhalten habe.

Fidel Mathias Fischer
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