Nachtexpress oder Schlittenfahren im Jahrhundertwinter

Schlittenfahrt Im Jahr der Seegfrörne, 1963, war der Winter besonders lang und besonders streng. Als junger Missionsschüler hat mir das damals aber überhaupt nichts ausgemacht - im Gegenteil: so schön war es vorher nicht und nachher auch nicht mehr. Ich bin schon als Kind begeistert Schlitten gefahren, aber was da an den Abenden auf dem engen St. Anna-Weg abging, war einfach nur phänomenal. Der Weg war komplett zugeschneit bzw. zugefroren, nur der Hof unten war geräumt und schneefrei. Einzigartig war auch die Tatsache, dass wir hier nicht mit Gegenverkehr rechnen mussten. Da wir die einzigen "Verkehrsteilnehmer" waren, besaßen wir absolute Narrenfreiheit.

In der Regel ging der Spaß nach dem Abendessen los. Gefühlte 20 Schlitten (wahrscheinlich waren es weniger) wurden miteinander verbunden: ein Junge, der bäuchlings auf dem Schlitten lag, hakte seine Beine in die geschwungenen Kufen des hinteren Schlittens. Darauf lag wieder ein Pilot, der das gleiche tat. So bildete sich ein langer, hochflexibler und maneuvrierbarer Zug. Das war jedoch nicht alles. Auf die Jungen setzten sich dann die Passagiere, die alle besonders weich und komfortabel reisten. Ganz vorne saß jemand mit einer sehr starken Taschenlampe, so dass das Gefährt, das von ganz oben den Annaweg hinunterrauschte, einen imposanten Anblick bot. Hier mitzufahren war für mich Freude pur. Das schönste kam allerdings noch, als das Gefährt mit hoher Geschwindigkeit in den schneefreien Hof des Missionshauses brauste und irgendwann zum Stillstand kam. Da funkten die Metallbeschläge der Kufen dermaßen, dass es aussah wie ein kleines Feuerwerk. Für uns Jungs einfach nur umwerfend.

Es wurde viel über die "schreckliche Pädagogik" jener Zeit geredet und geschrieben. Eins muss aber auch gesagt werden: Die Patres haben uns diesen Spaß, der durchaus nicht ungefährlich war, machen lassen und uns damit wunderschöne Erlebnisse beschert. Ich denke, sie hatten einfach mehr Gottvertrauen und vielleicht hat sich der eine oder andere gedacht, dass der Schutzengel ja auch noch was zu tun haben muss, ein Gedanke, der mich bei manchem Ausflug mit meinen Schülern begleitet und mir Gelassenheit vermittelt hat.

Ich meine, dass trotzdem mal etwas passiert ist, kann mich aber nicht mehr genau erinnern. Die Folgen für Leib und Leben der Beteiligten waren jedoch überschaubar.

In dem Bericht über P. Gypkens von Hajo Stenger wird das Schlittenfahren übrigens auch erwähnt. Einmal hatten sich ein paar weibliche Passagiere unter die "Reisenden" gemischt mit weitreichenden Folgen. Aber das kann man am besten HIER nachlesen.

Alfred Epple (14.1.2017)

Meinolf Pousset erinnert sich noch genau an diese schöne Zeit und fügt auch noch gleich eine köstliche Episode mit Frl. Dr. Schmitz hinzu:

[ ...] super – genau so war das mit der Schlittenfahrt – und meine freudigen Gefühle von damals [ sind ] auch haarscharf getroffen.
Ich kann mich konkret an Gespanne von 4 Schlitten erinnern mit 15 Klepfern. Und einmal haben wir es geschafft, durch den fast schneefreien Hof durchzurauschen und bis zu dem kleinen Anstieg zum Stall zu kommen. Eine Macke ist mir geblieben: es setzte sich jemand auf meinen Kopf, ich auf dem Schlitten liegend, und der Zweier-Schneidezahn brach ab. Heute habe ich ein elegantes perfektes Implantat an dieser Stelle.

Dann gab es noch eine kleine Besonderheit: der ganze Weg war ja dann ziemlich glatt geworden – also für Frl. Dr. Schmitz viel zu gefährlich. 2-3 von uns haben in der Stunde zuvor schon darauf aufmerksam gemacht und wir bekamen den erhofften Auftrag sie abzuholen (schon eine Viertelstunde abgeseilt!) und so nahmen wir Frl. Dr. Schmitz ganz oben in Empfang. Sie freute sich riesig und lobte uns junge Kavaliere über die Massen. Ihre Eile zum Unterricht zu kommen, konnten wir erfolgreich dämpfen: "Vorsicht, Vorsicht Frl. Dr. Schmitz – wenn Sie stürzen, was machen wir dann ohne Sie??? Und was wird Pater Superior mit uns machen!!" Und schon war die Hälfte der Lateinstunde in angenehmster Weise bei frischer Luft absolviert.

Meinolf Pousset (14.1.2017)

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