Wechselnde Schulen

Die Zeit, in der ich in Haigerloch war, war eine Zeit des Umbruchs. So wurde 1962 die eigentliche Missionsschule aufgelöst und ich gehörte zum ersten Jahrgang, der ab dato das Progymnasium Haigerloch unter dem damaligen Direktor SD Otto Schick besuchen durfte. Wir wurden von unserer Klasse sehr freundlich aufgenommen und integriert und gewöhnten uns schnell an die neue Umgebung, die neuen Lehrer und vor allem die Tatsache, dass wir jetzt Mädchen in der Klasse hatten, die sich rührend um uns bemühten - manchmal fast schon zu rührend. Diese Erfahrung hat uns geprägt und wir haben heute noch gute Kontakte mit den damaligen Klassenkameraden. Die regelmäßigen Klassentreffen, die immer sehr gut besucht sind, sind ein Indiz dafür. Trotzdem freute ich mich auf Rietberg. Ich wollte etwas anderes sehen, und ein wenig von der großen weiten Welt schnuppern. Ich war ziemlich enttäuscht, als es hieß, dass Rietberg geschlossen wird, aber es gab ja noch den Trost, dass wir weiterhin in unserer ausgesprochen netten Progymnasiumsklasse bleiben durften. Außerdem konnte man sich ja auf Großkrotzenburg und die Kreuzburg freuen, die damals bei uns jüngeren einen legendären Ruf besaß.

Nach der Untersekunda kam jedoch der Schock: die Kreuzburg wurde geschlossen und man überlegte, jetzt wohin mit uns. Man beschloss, uns auf das Gymnasium Hechingen zu schicken. Dies war jedoch mit einigen Unwägbarkeiten verbunden, war es doch wesentlich schwieriger die jungen Burschen unter Kontrolle zu halten. Obwohl wir schon durch das Progymnasium etwas weltliche Luft geschnuppert hatten, war Hechingen noch einmal eine neue Erfahrung für uns. Wir waren auch schon ein bisschen älter und das andere Geschlecht übte noch mehr Anziehungskraft aus, vor allem angesichts der Tatsache, dass Haigerloch doch ein Stück entfernt war. Andererseits wurde uns plötzlich bewusst, dass wir in der Oberstufe eines Gymnasiums waren. Die schulischen Anforderungen waren stark angestiegen und anfangs hatten wir in praktisch allen Fächern ganz schön zu rudern, um über Wasser zu bleiben. Aber auch hier erfuhren wir die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Lehrer (mit einer großen Ausnahme) und der Klassenkameraden. Schulisch kriegten wir die Dinge dann doch noch auf die Reihe.

Anfangs fuhren wir mit der Hohenzollerischen Landesbahn jeden Tag nach Hechingen und zurück. Ca. 1,5 km mussten wir in Hechingen zu Fuß zurücklegen, um ans Gymnasium zu gelangen. Da aber so manche nette Gastwirtschaft den Weg säumte, ließen wir uns es nicht nehmen, uns hin und wieder ein Glas Bier zu genehmigen. Ich fühlte mich so richtig erwachsen und geschmeckt hat es nach einer Eingewöhnungsphase auch noch. An den Tagen, an denen wir Nachmittagsunterricht hatten, “durften” wir im Altenheim zu Mittag essen. Der Geruch dieses Heims wird mir ein Leben lang nachhängen und das Essen war - jetzt mal vornehm ausgedrückt - einfach nicht gut. Es gab aber einen Trost: In der Nähe befand sich ein Gasthaus, wo wir bei einem Glas Bier sowohl den unseligen Geruch und Geschmack des Essens als auch die deprimierende Atmosphäre vergessen konnten. Dieses Lotterleben war wohl unseren Vorgesetzten ein Dorn im Auge. Da war einfach zu viel Luft drin mit der Bahnfahrt und den diversen Wegen im unübersichtlichen Dschungel der Stadt mit all ihren weltlichen Ablenkungen. Ein VW-Bus wurde gekauft, der uns ohne Umwege und sicher vom Ursprungsort Haigerloch zum Ziel Gymnasium Hechingen beförderte. Ehrlich gesagt, das war auch für uns bequemer und wir - inzwischen eine eingeschworene Gemeinschaft - amüsierten uns köstlich auf jeder Fahrt. Wir sangen — für die unter 30-Jährigen: damals haben die Menschen noch gesungen, wenn sie gut drauf waren — machten Witze, erzählten und schwätzten - es war einfach schön. Dabei erinnere ich mich an unseren regulären Fahrer, P. Österle, dem dies auch ganz gut zu gefallen schien. Ein Jahr Hechingen hat mich enorm geprägt und ich bin dankbar, dass ich diese Erfahrung machen durfte. Nach einem Jahr hieß es, dass man für uns etwas anderes gefunden hat: Es war das Internat der Ostpriesterhilfe in Königstein im Taunus. Lange habe ich überlegt, ob ich in Hechingen bleiben, oder mit den Klassenkameraden nach Königstein ziehen soll. Den Ausschlag gab letztendlich ein Lehrer, der selbst damals grenzwertig war, und der mit Macht versuchte, einigen von uns das Leben schwer zu machen. Jedenfalls ging ich auch nach Königstein und ich habe es nicht bereut. Eine völlig neue Erfahrung wartete auf uns. Wir hatten wesentlich mehr Freiheit im Internatsleben, es gab vielerlei Veranstaltungen und Angebote und die Schule war relativ entspannt im Vergleich zu Hechingen. Letzteres hat mir anfangs gar nicht so imponiert, aber ich arrangierte mich und machte nach zwei Kurzschuljahren mit wenig Aufwand ein ordentliches Abitur.

Alfred Epple


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