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Ergänzungen zum Artikel: Schwarze Pädagogik

Lieber Herr Raimund Pousset,

habe Ihren Beitrag „Schwarze Pädagogik“ mit Interesse gelesen Ich bin ja selbst Missionsschüler gewesen. Darf ich dazu ein paar Ergänzungen anfügen.

Sie verlangen nach einem Konzept. Seit es Menschen gibt, mussten die Eltern ihre Kinder erziehen. Erst durch Menschen kann das Kind Mensch werden. Der erste Akt dieser Erziehung ist, dass sie das Kind versorgen und annehmen. Durch Liebe wird der junge Mensch zur Liebe begabt, Fähigkeiten zum Überleben, Sitte und Brauch zum Zusammenleben werden weitergegeben. In der bäuerlichen und bürgerlichen Welt wird der junge Mensch einfach hineingenommen. Er erlernt Fähigkeiten, übernimmt Verantwortung. Darüber hinaus werden sittliche Werte eingeübt. Durch die Industrialisierung löste sich diese Ordnung auf. Die Kinder wurden Arbeitskräfte oder waren sich selbst überlassen. Jetzt kam die außerfamiliäre Erziehung, mehr der Bildung auf. Kirchliche Einrichtungen, angeregt durch große Erzieher, de la Salle, Don Bosco übernahmen diese Aufgabe. Auch die Idee des Kindergartens(Fröbel) kam auch. Der Staat erkannte die Verantwortung(allgemeine Schulpflicht). Im Altertum galt der Grundsatz galt der Grundsatz: Der Mensch, der nicht geschunden wird, der wird nicht erzogen. Im Judentum war die Erziehung durch das vierte Gebot geregelt. Auch Jesus hat sich dem unterworfen.“Er war ihnen untertan.“ Er selbst hat die Werte umgekehrt. „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder.“

Eine höhere Bildung erfolgte im MA in den Klöstern. Jetzt spielte Disziplin eine Rolle. Die „schwarze Pädagogik“ setzte ein. Die Missionsschule folgte dieser Tradition. Ohne diese „schwarze Pädagogik“ kommt auch heute eine höhere Schulbildung nicht aus, vielleicht in anderer Form. Die Tendenz geht auch in die Volksschule bis zum Kindergarten. Der Freiraum für die Kinder wird immer mehr eingeschränkt. Eine Erziehung ganz ohne „Schwarze Pädagogik“ ist nicht möglich. Auch im Spektrum sind schwarze Linien vorhanden. Versuche einer antiautoritären Erziehung sind gescheitert. Auf das richtige Maß kommt es an. „So viel Freiheit wie möglich, so viel Zwang wie nötig.“ Wenn Sie richtig verstanden habe, fehlte es an dieser Ausgewogenheit. Ich habe das weniger so empfunden. Im Grunde haben uns die Patres geliebt. Sie sahen uns nicht nur als zukünftige Afrikamissionare. Es herrschte eine positive Einstellung.

Ich komme aus einem kleinen Dorf. Durch den frühen Tod meines Vaters musste meine Mutter ihre drei Buben in ärmlichen Verhältnissen aufziehen. Ihre Erziehung bestand vor allem darin, was sie uns vorlebte. Mit mir hatte sie Probleme, besonders was Ordnung betraf. Weil sie selbst eine leidenschaftliche Leserin war, las sie uns aus Märchenbüchern vor. Ich verstand den Text nicht, aber den Klang des Vorlesens versetzte mich in eine andere Welt. Obwohl es ihr in der Kriegs-und Nachkriegszeit Schwierigkeiten bereitete, bekam ich immer wieder Bücher geschenkt. Die Schule besuchte ich anfangs mit Freude, bis ich wegen einer harten Prügelstrafe jede Lust verlor. Dann bekamen wir einen neuen Lehrer. Wie er es gemacht hat, weiß ich heue noch nicht, wandelte er mich. Ich war plötzlich begeistert. Dann besuchte ich das Gymnasium in Sigmaringen. Aber nach einem Jahr war ich gescheitert. Die Voraussetzungen für ein Gelingen waren schlecht: Fahrschüler, Ablenkung, wenig Aufsicht.

Mein Onkel, Pfarrer nahm sich meiner an. Er holte mich zu sich, gab mir Lateinunterricht, um mir einen Neustart zu ermöglichen, der mich dann nach Haigerloch in die Missionsschule führte.

Im Unterricht erging es mir wie dem erwähnten Schüler in Latein. Ich hatte das Lernen nicht gelernt. Ich wusste nicht, wie man sich Vokabeln einprägt usw. Erst später in Zaitzkofen hatten wir einen Lehrer P. Brendle, der uns systematisch zum Lernen anhielt. In Mathematik war es ähnlich. Aber ich hatte Glück. Bei P. Schmid begriff ich plötzlich wie durch Eingebung, dass Mathematik etwas mit Logik zu tun hat. Das hat mich bis heute begleitet. Im Rechenunterricht versuchte ich meine Schüler zum Denken anzuregen. Vielleicht geht auch meine Liebe darauf zu EDV zurück.

In Großkrotzenburg fand ich Zugang zum eigentlich Sinn von Latein und Griechisch, Weil ich mich beim Kohlenschippen verdient gemacht habe, bekam ich das Amt des Bibliothekars. Da hatte ich reichlich Zugang zu Büchern. Einmal stieß ich auf ein Werk von Ricarda Huch „Natur und Geist“. Es hat mich so gefasst, dass ich es im Stehen verschlang. Die Lehrer gingen außergewöhnliche Wege. P. Hirt machte mit uns ausgedehnte Exkursionen in den nahe gelegenen Wald. Im einen Jahr lernten wir die Pflanzen kennen, bestimmen, Davon habe ich bis heute profitiert. Im anderen Jahr machte uns P. Hirt mit der heimischen Vogelwelt vertraut. P. Freckmann führte uns in die christliche Soziallehre (Rerum novarum, Quadragesimo annno) ein. Er ließ uns Referate halten, setzte das Tonband ein(damals eine Neuheit) Auch das Fernsehen wurde verwendet. In Kunsterziehung gab uns ein Lehrer von auswärts einen hervorragenden Unterricht. Wir besuchten eine Kunstausstellung im Städel . Dort begegneten wir modernen Künstlern(Picasso, Rouault) Wir waren begeistert, versuchten selbst schöpferisch zu arbeiten. Neben den klassischen Werken ließen wir uns auch für Modernes begeistern. Unsere Klasse geriet geradezu in einen Hermann Hesse-Fieber. Jedes Jahr wurde ein großes Theaterstück aufgeführt. Wegen einer tragenden Rolle wurde mein Selbstwertgefühl stark gefördert, brachte mir aber auch einen Spitznamen ein.

Die Patres kümmerten sich um uns, auch im persönlichen Gespräch(Seelenführung). In Haigerloch Zum Klassenlehrer bestand natürlich eine besondere Beziehung. Bei uns war es Fritz Engelbert. Er tat für uns ein, auch wenn wir gelegentlich Mist gebaut haben.

Unsere Klassengemeinschaft war eine geschlossene Mannschaft. Jeder hatte seinen Platz. Ich stand nicht oben in der Hierarchie. Wegen meiner Leibesfülle war ich im Sport(ein wichtiger Punkt der Anerkennung) eine Null. Aber ich gehörte doch dazu. Die Regel Semper tres hatte schon einen Sinn. Freundschaften, die nur auf Sympathie beruhen, haben immer auch die Tendenz der Ab- und Ausgrenzung. Für echte Freundschaften gab es auch Gelegenheit. Ich hatte einen solchen Freund. Wir hatten den gleichen Mangel und gleiche geistige Interesse, die Liebe zu Geschichte. Bei Spaziergängen tauschten wir unser Wissen aus. Dabei lernten wir auch die ganzen Familienverhältnisse. Wir waren wie Brüder. Das hat bis heute angehalten.

Die körperliche Arbeit nahm ich gerne an. Wenn es nur nicht Kartoffelschälen war, machte es mir Freude. Im Garten konnte ich viel lernen. Br. Eduard ging ich bei der Schweinezucht zur Hand. Seitdem achte ich jeden Arbeiter, angefangen vom Handwerker, bis zur Putzfrau In Haigerloch hatte ich Schwierigkeiten mit der „schwarzen Pädagogik“. Man nahm an, dass jeder schon gewisse Verhalten(Kinderstube) mitbringt. Da war bei mir nicht ganz der Fall. Ich war ein „Tölpel“. Als P. E., der der Sohn eines Volksschullehrers, mich übernahm, fiel ich gleich unangenehm auf. Er wollte mich zurechtschleifen, nicht durch Strafen sondern durch Rügen, was ich zwar in seiner guten Absicht annahm, aber doch irgendwie verletzte. Seitdem bin ich allergisch gegen solche Erziehung. Ich will nicht erzogen, sondern geführt werden Was das religiöse Leben betrifft, Gott (einer, der für mich da ist, mit dem ich sprechen kann)ist wichtig für mein Leben. Gott ist Liebe. Christus lebt in seiner Kirche im Wort, Sakrament, Hierarchie, vo allem im Bruder. Ich entdeckte die Messe durch die private Lektüre der „Nachfolge Christi “ von Thomas v. Kempen. Seitdem ist für mich die tägliche Messe mein Programm. Auch der Rosenkranz gehört zu meinem Leben. Die Kirche bedeutet die Zugehörigkeit zu Christus. Alles vergeht. Das bleibt. Der Glaube hat mich durch das Leben begleitet. „Frömmigkeit ist für alles nützlich.“

Ich war kein Berufener, suchte nach dem Ausscheiden einen neuen Weg. Ich wurde Volksschullehrer. Wenn dann ganz. Mein theoretisches Wissen half mir direkt wenig. Alles Praktische musste ich mir selber erwerben. Grundsätze haben sich herausgebildet:

  • Der Lehrer muss selbst ein Suchender sein.
  • Der Lehrer muss den Schülern alles lehren wollen.
  • Die Beziehung zu allen Schülern und zu jedem Einzelnen muss gepflegt werden.
  • Die Eltern sind die ersten Erzieher.
  • Die Schwachen verlangen die erste Zielgruppe zu sein. usw.
  • Eine Bestätigung und ein Ansporn fand ich im folgenden Gedicht.

Meinem alten Lehrer v. A: Wildgans

Da tratst Du ein mit unbetonten Schritten,
Nicht wie ein Vogt, der einzuschüchtern naht.
Gleich legten sich die wilden Knabensitten,
Die Horde ward zum eingeteilten Staat.
Und Du, der gute Patriarch inmitten
Der lauschend hingebeugten Menschensaat,
Gabst mühelos von Deiner Arbeit Ernten,
So daß auch mühelos wir von Dir lernten.

Ein Lehrer warst Du, nicht ein Ueberwacher,
Und, unbewacht, bezähmte uns die Scham.
Mitschüler warst Du - nicht ein Widersacher -
Der mit uns, an uns zur Erkenntnis kam,
Dem willigzagen Schritt ein Wegemacher,
Ein Sonderer von Menschenwert und Kram.
Vor Deinem Ohr ward jede Phrase nichtig,
Und immer nur die Sache war Dir wichtig.

Dies ist die Zehrung, die Du mitgegeben
Den Schülern auf den vielverzweigten Pfad.
Das bloß Gesagte kann sich überleben,
Fortwirkt und -bildet nur des Lehrers Tat.
Die Deine war: daß Beispiel Du gegeben,
Nicht was nur, wie auch man zu wissen hat.
So ward sonst flüchtig Haftendes beständig
Und bloßer Stoff durch Sittlichkeit lebendig.

Erziehung ist weder nur schwarz oder weiß, noch grau. Sie ist bunt mit schwarzen Linien.
Einen Erzieher mit wenig expliziertem Konzept mit Liebe ziehe ich einem anderen mit einem expliziertem Konzept aber nur wenig Liebe vor. Die Schule kann uns nur Impulse (energeion, nicht nur energeia) geben. Vieles kommt uns von anderswoher zu. oder müssen wir uns selber suchen. Es muss auch noch etwas geben, das wir selber schaffen.

Sicher ist eine theoretische Ausbildung von Nutzen. Ich habe an der PH jede Vorlesung besucht. Zuhören war für mich eine Freude. Habe aber auch während meines Studiums Verantwortung für Jugendliche als Präfekt in einem Studienseminar übernommen. Don Bosco, mein großes Vorbild hat kein Buch hinterlassen, sondern hatte ein bahnbrechendes Konzept: Schlechtes nicht bestrafen, sondern verhindern.

Markus Strobel

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