Herr Westhauser (2)

Frühe Prägungen zur Subversion
Ich hatte, vor allem als ich älter wurde, immer schon geahnt, wie prägend die paar Jahre in Haigerloch für mein Leben waren. Mit den vielen Impressionen und Erinnerungen meiner früheren Mitschüler wird diese Zeit wieder plastisch und bildhaft. Über Jahrzehnte schlummerten sie verborgen in den hintersten Gehirnwindungen und waren verdeckt von späteren Jahren voller bewegender Erlebnisse und Freuden.

Ich wollte mich zur tragischen Figur von Wolli melden. Wolli war eigentlich die Verniedlichung zu seinem Spitznamen "Wellblech", als Verhöhnung seiner Kopfverletzung. Wir hatten damals ein wahrlich genussvolles Gespür entwickelt den Loser zu erkennen. "Wellblech" hatte gegen unsere Phantasie keine Chance. Ich kann mich an eine Szene erinnern, die sich bei mir tief eingeprägt hat. Er konnte sich wiedermal überhaupt nicht gegen unsere spitzbübischen Frechheiten durchsetzen, da zog er plötzlich seinen Geldbeutel aus der Hose und warf ihn in die Klasse. Er schrie: "Ich hab euch doch gar nicht nötig!" Und rannte mit Tränen in den Augen aus der Klasse. So ging es auch jedem der Schüler, der Schwächen zeigte.

Unsere sadistische Lust, die Schwachen zu quälen, bewirkte später bei mir das Gegenteil, obwohl ich oft mitgemacht habe. Ich stellte mich immer auf die Seite der Schwachen und Unterdrückten. Macht in Händen von Politikern, Beamten, Unternehmen und Kirchenhierarchien lies mich immer aufhorchen. So waren die Jahre in Haigerloch (zuerst unter Buse, dann unter Haag) für mich die Grundlage für mein lebenslanges kritisches Denken gegenüber allen, die meinten stark sein zu müssen. Aber diese Zeit war auch Basis für eine Art romantische Sicht des Lebens, in dieser wilden Umgebung auf unseren Spaziergängen zu dritt am Mittwoch und Sonntag nach Weildorf, Trillfingen etc. Diese subversive Art des Erwachsenwerdens, außerhalb der familiären Überwachung, diese kleinen im Reglement möglichen Freiheiten. Der Kopf war ja frei, auch unter Drill. Gerne werde ich weitere Geschichten von Euch aus dieser Zeit aufsaugen, um mich zu erinnern. Gabriel Garcia Marquez schrieb über seine Autobiografie: "Leben, um davon zu erzählen.

Johannes Syptroth („Sibbi"), 24.5.2014
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