Warum ich nach Haigerloch ins Missionshaus ging

Von Raimund Pousset

Beim Nachspüren meiner Motivation nach Haigerloch zu gehen fällt sicher zunächst das stark katholisch-religiös geprägte Elternhaus ins Gewicht. Aber da ist noch mehr zu entdecken, denn die Motivlage ein Missionar werden zu wollen und nicht ein Mönch oder ein Diözesan-Priester, dürfte vermutlich nicht nur im religiösen Bereich zu suchen sein. Jedenfalls war es bei mir so.

Der religiöse Zweig der Motivation lag bei mir neben dem Elternhaus in der folgerichtigen Amtsübernahme als Ministrant in meiner Pfarrkirche St.-Bonifatius zu Frankfurt-Sachsenhausen. Dort ging ich nicht nur zur Erstkommunion – entsetzlich, als einziger in kurzen Hosen! – sondern in diesem alten Backsteinbau heirateten auch unsere mehrfachen Weltmeister und doppelten Silbermedaillengewinner Kilius-Bäumler. Eine etwas hinkender Parallele, aber immerhin wahr. Ich war- wie wohl die meisten - stolz eine Ministrant zu sein und nach stundenlangem Üben flüssig Latein sprechen zu können, sprechen zumindest: Ad deum qui laetificat … Diese meine Pfarrei verfügte über eine wohlausgestattete Borromäus-Bücherei, in der wohl die geistige Munition lagerte, die mich nach Haigerloch brachte. Leider, leider durfte ich mir wöchentlich nur ein Buch ausleihen, weil ich in den Augen der Eltern eine totale Leseratte war. Heute wäre ich stattdessen wohl dem Netz ins Netz gegangen, so war es das Buch. Natürlich umging ich wie viele Kinder das Verbot mit Pfiff. Ich legte immer ein Buch zuhause vor, ein zweites und drittes ruhte fromm unterm Bücherschrank, vor dem ich eine der verbotenen Frucht liegend las. Bei drohend nahenden Schritten ließ ich das verbotene schnell verschwinden und hatte statt dessen das genehmigte Buch unschuldig vor mir .

Es war die Abenteuerlust, die durch die Borromäus-Bücherei allwöchentlich von den üblichen Klassikern wie Lederstrumpf oder Robinson Crusoe befeuert wurde – und natürlich: Karl May, bei mir in 36 Bänden. Auch „Der Totenrufer von Halodin“ , ein prähistorischer Roman aus der Eisenzeit von F.H. Achermann und ähnliche geschichsträchtige Romane ließen mein Interesse am Fach Geschichte wachsen (was ich später auch studierte). Heute legt man für den Totenrufe glatte 60 EUR auf den Tisch, mein späteres Taschenbuch-Exemplar - wahrscheinlich bei Arena – ging leider verloren. Doch über aller Lektüre strahlte der zehnzackige Stern, nein, was sag ich: der Komet von Herbert Kranz‘ „Ubique terrarum“, mit der genialen Figur des Deutschen GG, der einfach ein Vorbild sein musste. Für mich zumindest. Überall auf der Welt, da wollte ich gerne sein. Ein von mir mit meiner großen Schwester mutig vorangetriebener nächtlich-heimlicher Ausbruch aus dem engen Behausung (63 qm für 7 Personen; das „Bubenzimmer“ für uns zwei Jungs hatte 9 qm, nur mit 2 Klappbetten zu bewältigen) endete trotz gepackten Rucksacks an den flüsternden Einwänden meiner Schwester vor der Wohnungstür. Doch die Energie in die Welt hinauszuwollen schlummerte nur.

Nach einigen Jahren war näher bei unserem Zuhause dann eine neue katholische Kirche erbaut worden, St. Aposteln. Hier fügte sich dann zur Spiritualität die Abenteuerlust. Im Kindergottesdienst stand Pater Zender und predigte; er predigte mich mit beredter Zunge glatt an die Wand, genauer in die Sakristei, wohin er alle interessierten Knaben bat, die sich vom Abenteuer Afrika hatten berühren lassen. Wir waren zwei der Knaben; meinen Freund Ferdi hatte ich noch in der Bank angestoßen gehabt, damit ich nicht so allein war. In der Sakristei sprach P. Zender dann mit mir, wie er mit vielen Jungen in vielen Sakristeien gesprochen haben wird. Ich sprach dann zuhause zuerst mit meiner Mutter: „Ich gehe nach Afrika! Ich will Missionar werden!“ Sie blickte freundlich und muss das an meinen Vater weitergegeben haben. Beide sind irgendwie, vielleicht telefonisch, mit den PA’s in Kontakt getreten. Schließlich war das Provinzialat in Frankfurt ja nicht weit. Dort war es später dann mein Job in den Ferien bei P. Huber die Adrema-Maschine zu bedienen und neue Adressen für den Versand des „Afrikaboten“ zu stanzen.

Ferdis Interesse war nach P. Zenders Predigt allerdings blitzartig verflogen; ich wusste damals noch nicht, dass nicht jeder gleich auf ein Gymnasium gehen konnte. Genau das aber hatte mein Volksschullehrer meinen Eltern nachdrücklich empfohlen gehabt und so dauerte es nicht lang, bis mein Vater seine Ärztebesuchs-Tour nach Süddeutschland legte und mich im Missionshaus ablieferte. Da war ich zwar noch nicht in Afrika, aber schon mal aus der elterlichen Enge und Kontrolle einen Schritt weiter. Mein Bruder Meinolf folgte dann ein Jahr später. Ich muss da wohl irgendwie P. Zender ersetzt haben. Wir waren jetzt zumindest in der Afrika-Luft der Helden, die ja im Missionshaus ein- und ausgingen – und das vor der passenden Dekoration des alten Kastens. Das große Afrika musste also noch was warten.

Raimund Pousset 2.7.2018

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