Bittprozessionen
Die Klepferseiten haben über viele Ereignisse, ja das gesamte Leben damals in Haigerloch und den nachfolgenden
Ausbildungsstätten der Weißen Väter berichtet. Auch die Patres und Lehrer kamen dabei nicht zu kurz. Bei der
gelegentlichen Lektüre des gesamten Kompendiums ist mir aufgefallen, dass eines bislang gar nicht erwähnt
wurde: die Bittprozessionen, die regelmäßig um das Fest Christi Himmelfahrt stattfanden. Für uns als Schüler,
die aus der Großstadt Frankfurt kamen, waren diese Bittgänge neu, so etwas kannten wir bislang noch nicht. Für
die meisten Mitschüler, deren Heimatorte in der Umgebung von Haigerloch lagen, waren diese religiösen Übungen
nichts Besonderes. Man kannte das von seiner früheren Jugendzeit daheim. Wenn ich mich noch recht erinnere,
war es meist so, dass die Betrachtungszeit vor der Morgenmesse verkürzt wurde und man dann von der Kapelle aus
aufbrach, um einen Gang mit Bittgesängen um das Haus, durch die Natur zu machen. In wohl geordneten Reihen
gingen wir singend durch das zu dieser Zeit blühende Land. Freilich wurde hier in der damals üblichen
lateinischen Sprache gesungen und zwar erklang die Allerheiligenlitanei. Da wurden alle bekannten und viele
mir unbekannte Heilige angerufen, dass sie uns helfen und bei Gott für uns Hilfe und Schutz erbitten. Eine
kleine Schola sang vor und die Schüler antworteten. Das Ganze begann mit der Anrufung der allerheiligsten
Dreifaltigkeit: Pater de Coelis Deus und alle antworteten miserere nobis. Schließlich folgte die Anrufung
aller Heiligen, beginnend natürlich mit Maria: Sancta Maria – ora pro nobis, Sancta Dei Genitrix – ora pro
nobis. Schließlich folgten die Engel und Erzengel. Wichtig waren dann, Johannes, der Täufer und Joseph.
Zusammengefasst schlossen sich alle Patriarchen und Propheten an. Und dann kam die schier endlose Reihe aller
Heiligen beginnend mit den Aposteln: Sancte Pedre – ora pro nobis. Damit niemand vergessen wird, setzte man
regelmäßig eine Zusammenfassung ein: Omnes Sancti Apostoli et Evangelistae– orate pro nobis. Es folgten die
weiteren Jünger und dann die unschuldig Verfolgten, die Märtyrer. Dann waren die heiligen Päpste, Bekenner und
Kirchenlehrer dran. Der Rangfolge entsprechend rief man schließlich die heiligen Priester, Leviten, Mönche und
Einsiedler an. Jetzt erst gedachte man der vielen heiligen Frauen, Jungfrauen und Witwen. Hier wurde schon
deutlich, welche Rangfolge die Frau, abgesehen von Maria – die war ja etwas ganz Besonderes im Heilsgeschehen
- einnimmt. Diese Auflistung wurde abgeschlossen durch den Anruf aller männlichen und weiblichen Heiligen:
"Omnes Sancti et Sanctae Dei – intercedite pro nobis."" Jetzt wurde im Einzelnen aufgeführt, wovor wir beschützt
werden sollten, beginnend mit der „Überschrift“ "Propitius esto – parce nobis Domine". Dann folgte die
Aufreihung aller Widrigkeiten, vor denen uns der Herr befreien sollte: "libera nos Domine". Natürlich zuerst kam
die Sünde, dann der Zorn Gottes, dann der plötzliche, unvorbereitete Tod, dann die Hinterhältigkeit des
Teufels und so weiter. Darunter fiel auch der Schutz vor besonderen Gefahren: "A peste, fame et bello – libera
nos Domine". Diese Anrufungen endeten mit dem Schlimmsten, was einem Christenmenschen passieren konnte: "A morte
perpetua".
Nun musste sich der sündige Beter fragen, was und wie in dieser schwierigen Notlage geholfen werden könnte: "Peccatores – te rogamus audi nos" = "Wir Sünder – wir bitten dich erhöre uns". Es folgt ein gutes Dutzend Anrufungen, die immer mit dem lateinischen "ut" = "damit" eingeleitet werden. Gott möge uns schützen, er möge seine Kirche bewahren, er möge den christlichen Fürsten Frieden und Einigkeit geben, er möge unseren Wohltätern ewige Güter gewähren, damit wie ...
Das Ganze endete mit "Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, parce nobis Domine". Schließlich war man wieder in der Kapelle angelangt und der Gottesdienst, die Messe, konnte fortgeführt werden.
Für mich als kleines Missionsknäblein, das gerade dabei war, die lateinische Sprache zu erlernen, hatten diese Gebete auch pädagogische Wirkung: Hier lernte man viele Worte dieser alten Sprache kennen und konnte den Inhalt wahrlich verinnerlichen. Deshalb sind mir viele Formulierungen noch fest in meinem Herzen und meinen Sinnen geblieben und heute denke ich, wenn ich die Weltereignisse so mitverfolge, oft an das, um was wir damals vor mehr als 50 Jahren gebetet und gesungen haben. Warum vieles nicht wie ersungen in Erfüllung ging, weiß ich nicht. Diese religiösen Formen sind heute weitgehend verschwunden. Möglicherweise liegt ein Grund auch darin, dass der CIC 1917 festgelegt hat, dass diese Bittprozessionen nur mit einem Priester durchgeführt werden dürfen. Aber hier trifft wieder einmal der alte Spruch zu: "Hic iacet lepus in pipere". Ich bedauere sehr, dass viele gute, jahrhundertalte Traditionen gerade in unserer Kirche verschwunden sind. Ich denke, auch der neue Papst wird diese Entwicklung nicht aufhalten.
Kurz vor Christi Himmelfahrt 2025
Hajo Stenger
Nun musste sich der sündige Beter fragen, was und wie in dieser schwierigen Notlage geholfen werden könnte: "Peccatores – te rogamus audi nos" = "Wir Sünder – wir bitten dich erhöre uns". Es folgt ein gutes Dutzend Anrufungen, die immer mit dem lateinischen "ut" = "damit" eingeleitet werden. Gott möge uns schützen, er möge seine Kirche bewahren, er möge den christlichen Fürsten Frieden und Einigkeit geben, er möge unseren Wohltätern ewige Güter gewähren, damit wie ...
Das Ganze endete mit "Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, parce nobis Domine". Schließlich war man wieder in der Kapelle angelangt und der Gottesdienst, die Messe, konnte fortgeführt werden.
Für mich als kleines Missionsknäblein, das gerade dabei war, die lateinische Sprache zu erlernen, hatten diese Gebete auch pädagogische Wirkung: Hier lernte man viele Worte dieser alten Sprache kennen und konnte den Inhalt wahrlich verinnerlichen. Deshalb sind mir viele Formulierungen noch fest in meinem Herzen und meinen Sinnen geblieben und heute denke ich, wenn ich die Weltereignisse so mitverfolge, oft an das, um was wir damals vor mehr als 50 Jahren gebetet und gesungen haben. Warum vieles nicht wie ersungen in Erfüllung ging, weiß ich nicht. Diese religiösen Formen sind heute weitgehend verschwunden. Möglicherweise liegt ein Grund auch darin, dass der CIC 1917 festgelegt hat, dass diese Bittprozessionen nur mit einem Priester durchgeführt werden dürfen. Aber hier trifft wieder einmal der alte Spruch zu: "Hic iacet lepus in pipere". Ich bedauere sehr, dass viele gute, jahrhundertalte Traditionen gerade in unserer Kirche verschwunden sind. Ich denke, auch der neue Papst wird diese Entwicklung nicht aufhalten.
Kurz vor Christi Himmelfahrt 2025
Hajo Stenger