Fundstück mit besonderer Erinnerung

Der Nachteil eines großen Arbeitszimmers besteht daran, dass man nicht die Notwendigkeit sieht, etwas wegzuwerfen. Irgendwo findet sich immer noch ein kleines, freies Plätzchen, wo man das ein oder andere Büchlein deponieren kann. Und wird Platz gebraucht, dann wird zu- nächst das scheinbar Unwichtigste entfernt. Bei mir war es das kleine Sofa mit einem kusche- ligen, braunen Cordbezug; da habe ich recht selten gesessen, weil ich eher am Schreibtisch ge- arbeitet und gelesen habe. Und im Laufe der Zeit kommen weitere günstige Momente hinzu, die die Ordnung des Arbeitszimmers beeinflussen: Die Kinder ziehen aus und einiges lässt sich nun bequem in andere Zimmer auslagern, ohne dass die Frau des Hauses sich eingeengt fühlt… Und so konnte ich meinen Computerarbeitsplatz in ein ehemaliges Kinderzimmer verlegen.
Trotzdem, irgendwann überkam mich eine gewisse Sucht nach Ordnung und Transparenz: Jetzt war es wieder einmal so weit, das Arbeitszimmer musste geordnet werden: Da stapelten sich Bücher über Bücher. Nicht zuletzt bedingt durch mein breites Interessensfeld und mein großzügig angelegtes, ausgedehntes Studium: Philosophie, Theologie, Geschichte, Politikwissenschaften, Gerontagogik. Und dazu kommen noch Kunst und Orgelbau als besondere Lei- denschaften. Die Anfänge dieser Interessen reichen noch in eine Zeit, da man Wissen hauptsächlich in Büchern speicherte. Der Computer hatte seinen Siegeszug noch nicht in die Stu- dierzimmer angetreten.
Inzwischen habe ich im Lauf der Jahre schon mit blutendem Herzen einige Mülltonnen mit den wertvollen, gedruckten Kulturgütern gefüllt. Aber diese Räumaktionen fördern gelegentlich auch alte Schätze zu Tage. Und so ist es mir heute ergangen. Da finde ich doch mein Deutschheft von 1956, Größe: DIN A 5, schön eingebunden in einen braunen Umschlag mit der Aufschrift „Volkshilfe“, offensichtlich ein Werbegeschenk der besagten Versicherung. Wie man sich denken kann, war damit das Aufräumen erst einmal beendet und ich las die in kindlicher Schrift abgefassten Texte. Damals hatten wir P. Bernhard Schneider, der leider schon 1959 verstorben ist (siehe „In Memoriam“), in Deutsch. Ich war gerade 6 Wochen in Haigerloch, als ich 12jährig den Text verfasst hatte. Wir mussten zunächst einen ersten Entwurf ins Heft schreiben, dann wurde dieser von P. Schneider bearbeitet; es folgte ein zweiter, verbesserter Entwurf und schließlich musste die Reinschrift erfolgen und dann gab es eine Note, die dann wohl maßgeblich für die Zeugniszensur war.

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Abb. 1: Mein erstes Schulheft in Haigerloch 1956; in Anbetracht dieser Besonderheit habe ich es über 60 Jahre aufgehoben.


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Abb. 2: Erster Entwurf meines Berichtes über die Wanderung auf die Burg Hohenzollern; die roten Korrekturen im Text stammen von P. Schneider



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Abb. 3: Die zweite Seite des Berichtes

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Abb. 4: Die dritte Seite des Berichtes

Beim Durchlesen des Textes musste ich doch etwas staunen: Da ist von einem 25 km langen Marsch nach Hechingen die Rede. Wenn man das heute 12jährigen Schülern zumuten würde, würden am nächsten Tag die Eltern auf der Matte stehen und lautstark protestieren. Heute sehe ich das als gute Übung und mit 74 bin ich derzeit noch so fit, dass ich meine Zeit nicht in einem Fitnessstudio „vergeuden“ muss. An den Besuch der Klassenkameraden in Hechingen kann ich mich noch gut erinnern. Die Großeltern unseres Mitschülers Anton Merz waren Messner an der barocken St. Luzenkirche; diese war damals noch nicht restauriert und die Orgel war in einem beklagenswerten Zustand. Aber wir konnten alles sehr genau besichtigen, was mein zu dieser Zeit noch nicht ganz ausgereiftes Interesse an der Barockkultur ein Stückchen vertiefte.
Ja, so erwachen plötzlich immer wieder Erinnerungen, die eigentlich schon verschüttet waren. Schön wäre, wenn jemand sich auch an diese Mai-Wanderung nach Hechingen erinnern würde und den Text entsprechend ergänzen könnte.

Stadecken, den 23. Juli 2017

Hajo Stenger

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