Das Höhlengleichnis und Sonstiges aus der Schulzeit

Könnt Ihr Euch noch erinnern ...? So fangen viele Geschichten und Geschichtchen aus der früheren Schulzeit an. Und man kommt bei Klassentreffen mit viel Glück ins Schwelgen und die Erinnerungen werden wach. Und so manch Erlebtes taucht wieder aus den Tiefen der Vergangenheit auf. Das frühere „Leid“, die frühere „Not“ wird dann schnell zur Heldentat oder zu einem einmaligen Erlebnis. Ich glaube, es war auf Unter- oder Obersekunda. Wir hatten damals Griechischunterricht bei Jetro, i.e. P. Jetter, und kämpften uns durch Platons Staat. Möglicherweise hatte gerade Heiner Parusel zum Stundenbeginn mal wieder die wichtigen Sätze aus der letzten Stunde auswendig frei rezitiert, was Meister Jetro ein zufriedenes Schmunzeln über das Gesicht huschen ließ. Die Mehrzahl der Eleven freilich, zu denen nicht nur ich gehörte, versteckte sich hinter dem Vordermann und täuschte gefällige Aufmerksamkeit vor, um nicht beim nächsten Aufruf an die Reihe zu kommen. Denn Griechisch auswendig daher zusagen, war nicht jedermanns Sache. In der Regel hatte man in der Studienzeit am Vortagnachmittag doch einige geraume Zeit mit der Vorbereitung der nächsten Textpassagen aus Platons Werk verbracht. Das war ein ungeschriebenes Gesetz, zumal Jetter damals Schulleiter war und da wäre es ausgesprochen ungeschickt, in diesem Punkt durch mangelndes Wissen negativ aufzufallen. Immerhin verstand es Jetro die schwierigen Texte, die für uns damals eigentlich wenig logisch- einsichtig waren, durch Hinweise und kleine „Erzählchen“ aufzulockern und aufzupeppen. In besonderer Erinnerung ist mir bis heute das Höhlengleichnis. Und das liegt sicher auch zu einem guten Teil an der plastisch-blumigen, eidetischen Schilderung von Meister Jetter. Kommen wir doch zur Erinnerung einmal ganz kurz auf den Inhalt dieser Bildergeschichte zu sprechen. In seinem sechsten und siebten Buch der Politeia (= Der Staat) ist Sokrates mit den beiden Brüdern Platons, Glaukon und Adeimantos im Gespräch und erläutert ihnen, die Aufgaben eines Philosophen. Dieser war für Führungs- und Bildungsaufgaben prädestiniert. Es geht also letztlich um philosophische Bildung und Unbildung. Sokrates beschreibt eine Höhle; in dieser sitzen Gefangene angekettet und können nur auf die Wand der Höhle blicken. Vom Eingang der Höhle fällt Licht auf die Wand. Und hinter einer Mauer tragen Menschen Gegenstände vorbei, die ihren Schatten auf die Wand werfen. Die Gefangenen sehen also nur die Schatten und nennen diese Schatten daher die Wirklichkeit. Wenn die Gefangenen dann einmal freikommen, werden sie die Schatten für die wahre Wirklichkeit halten und die echten Dinge für Fälschungen.

Die Geschichte als Comic gibt es in dem Buch „PHILOSOPHIX; DAS HÖHLENGLEICHNIS UND ANDERE GROSSE PHILOSOPHISCHE IDEEN“ von ETIENNE GARCIN & A. DAN:, 154 Seiten, erschienen bei KNESEBECK 2022, € 24

Eine Leseprobe gibt es HIER

Nach dem Höhlengleichnis im 1. Kapitel folgt gleich Das Schiff des Theseus im 2. Kapitel, jene Geschichte, in der der Minotaurus auf Kreta besiegt wird. Auch dies weckt Erinnerungen an die Großkrotzenburger Schulzeit. Und so geht es in dem Buch weiter.

Man könnte auch das Höhlengleichnis in seinem philosophischen Grundgehalt auf die derzeitige Situation übertragen:

In der Höhle gefesselt sitzen die Bewohner Russlands. Sie sehen nur die Schatten der Wirklichkeit, d.h. das, was ihnen die Politik zu sehen erlaubt. Und Putin hofft, dass die Menschen das dann auch als Realität so annehmen, d.h. wir, die Russen sind im Recht und die Menschen aus der Ukraine sind im Unrecht. Also müssen wir diese folglich bekämpfen! Oder die Menschen in Moslemischen Staaten ...die Frauen müssen unterdrückt werden, weil ... und und und ... Ja, man könnte sogar einen Schritt weitergehen: Wie sieht es denn in der Kirche aus? Wer bestimmt denn hier, was Wahrheit ist? – Klar, kirchenrechtlich festgelegt! Wer legt denn hier die Stellung der Frau fest und Haltung gegenüber den sexuell Anderen und zementiert das als ewige Wahrheit?

Das oben Gesagte skizziert nur kurz und schemenhaft meine Aussageabsichten. Also, man sieht aber, Platons Gedanken haben bis heute ihre Berechtigung und Gültigkeit. Und wir sollten dankbar sein, dass wir Lehrer hatten, die uns das auch so vorgestellt haben.

Stadecken, den 18.11.2022

Hajo Stenger

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