Der Tagesablauf und andere Routinen

In Haigerloch befand sich die Unterstufe des staatlich genehmigten altsprachlichen Gymnasiums. Es gab noch Schulen in Linz am Rhein, in Zaitskofen, Bayern, und Rietberg, Westfalen.

Die ersten vier Jahre Gymnasium hatte ein Missionsschüler aus Baden-Württemberg in Haigerloch zu bleiben.

Die Obertertia war in der Missionsschule Rietberg bei Gütersloh oder Wiedenbrück im flachen Westfalenland und für die letzten vier Jahre bis zum Abitur ging es nach Großkrotzenburg bei Hanau am Main, einem hessischen Grenzort zu Bayern.

Der Tagesablauf war für alle Altersstufen ziemlich derselbe, in allen Häusern galt dieselbe Hausregel. Dieser fixe Tagesablauf, der bis in die Minuten genau vorgeschrieben war, verlieh eine gewisse Sicherheit. Das Kalkulierbare war sogar sehr angenehm.

Um Viertel vor sechs morgens wurden alle geweckt. Der Pater, der Wochendienst hatte, eilte durch die Schlafsäle und rief: "Benedicamus Domino". Darauf hatten die Schüler, möglichst im Chor, "Deo gratias" zu antworten. Doch meistens geriet der morgendliche Dank für einen neuen Tag sehr dünn, viele wachten erst auf, wenn die anderen in den Waschraum polterten. Jeder Schlafsaal hatte einen Waschraum, jede Klasse ihren Schlafsaal.

Zwanzig Minuten später rief die Hausglocke in die Kapelle, wo der Tag mit dem Morgengebet und der Betrachtung eigentlich erst begann. Jeder mühte sich bei der Betrachtung in diesen frühen Stun- den immer redlich, fromme Gedanken zu pflegen und sich zu versenken in ein betrachtendes Gebet, doch immer wieder schweifte man ab. In den ersten Jahren der Internatszeit waren viele der festen Überzeugung, dass man dann den rechten Grad der Vollkommenheit erreicht hätte, wenn es einem gelingen würde, eine Stunde lang still in der Kapelle zu knien und zu beten, ohne das Ver- rinnen der Zeit zu spüren. Nach der Betrachtung endlich kam etwas Leben: die gemeinsame heilige Messe, an die sich wieder eine kurze Betrachtung anschloss. Während dieser Zeit bestand Gelegen- heit außerhalb und zusätzlich zur wöchentlichen Beichte zu beichten. In der Regel wurde gebeich- tet: unandächtig gebetet, Äpfel vom Baum genascht, Unkeusches gedacht und in der Klassenarbeit abgeschrieben, freilich nur in den Fächern, die vom Beichtvater nicht unterrichtet wurden.

Aus der Kapelle führt der Weg in den Schlafsaal zurück, die Betten waren zu machen. War dieses Werk vollendet: In der noch verbleibenden Zeit bis zum Frühstück hatten sich die Schüler in ihren Klassenzimmern, die gleichzeitig deren Studierzimmer und überhaupt die einzigen Räume zum gewöhnlichen Aufenthalt waren, mit unseren Hausaufgaben zu beschäftigen, uns noch einmal ma- thematische Formeln anzuschauen, lateinische Wörter zu repetieren oder ein Gedicht zu wiederho- len, das auswendig gelernt werden musste.

Viertel vor acht ertönte aufs Neue der Klang der Hausglocke, dieses Mal gab sie das Zeichen zum Frühsport: in der Regel ein verrücktes mehrmaliges Herumrennen um das Haus das Anwesen oder durch ein Waldstück mit anschließender Gymnastik, ein Biegen des Körpers nach vorn, nach hinten und zur Seite.

So verschwitzt konnte dann das Frühstück im großen Speisesaal eingenommen werden. Während des Frühstücks durfte zum ersten Mal am Tag gesprochen werden. Die Schüler saßen an Sechsertischen, jeder Tisch hatte einen Tischoberen, zumeist war es ein älterer Schüler, der dafür verant- wortlich war, dass das, was auf dem Tisch stand, auch gerecht verteilt wurde. Morgens kam diese Verantwortung nicht ins Spiel, denn die Margarinestücke waren genau portioniert. Bei sparsamer Streichart konnte man zweieinhalbe Brote mit einer dünnen Fettschicht bedecken, wenn nicht grobporiges Brot die Margarine gierig verschluckte. Das Bestreichen mit Margarine war eher eine symbolische Handlung, denn der eigentliche Brotaufstrich war Marmelade, an der nicht gespart wurde; die Küchenschwestern hatten sie zentnerweise in großen Behältern eingekocht.

Der Schulunterricht dauerte von Viertel nach acht bis um Viertel vor ein Uhr mittags. Jede Stunde begann mit einem Gebet und endete mit einem Gebet. In den Fremdsprachenfächern betete man in der jeweiligen Sprache, in Latein, Griechisch, Französisch oder Englisch. Der Mathematiklehrer in der Unterstufe, also in Haigerloch, sang mit den Schülern vor jeder Unterrichtsstunde ein Kirchen- lied. Vor Klassenarbeiten aber stimmte er das Fahrtenlied "Lasst die Banner wehen" an, was zum jähen Verstummen und anschließendem Wiederholen des Liedes führte.

In der großen Pause wurde eine, "visitatio super tabernaculam" erwartet, also 20 Minuten in der Ka- pelle knien.

In den 15 Minuten vor dem Mittagessen war in der Kapelle Betrachtung, besser Gewissenserfor- schung. Diese endet am Ende der Betrachtung beteten wir den „Engel des Herrn“, meist auf Latein. „Angelus Domini nuntiavit Mariam, et concepit de Spiritu Sancto“ (Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft - und sie empfing vom heiligen Geist).

Nach dem Tischgebet, wenn sich alle gesetzt hatten, las ein Schüler zunächst einige Verse aus dem Evangelium vor, dann konnte gegessen werden. Der Schüler, der aus dem Evangelium gelesen hatte, bestieg eine kleine Kanzel und las aus einem Buch vor. In den unteren Klassen waren es meistens spannende Jugendbücher, später Reiseerzählungen. An besonderen kirchlich bedeutsamen Tagen durfte auch während der Woche beim Mittagessen geredet werden. Diese Freiheit der Rede beim Essen wurde von P. Superior oder seinem Vertreter mit dem Ausruf "deo gratias" eingeräumt Hatten alle zu Ende gegessen - auch die Patres aßen im Speisesaal - läutete der Superior mit einer kleinen Handglocke, der Lektor beendete seine Lesung, stieg von der Kanzel herab und las stehend aus dem Martyrologium Romanum die Vita des Tagesheiligen.

Nach dem Dankgebet war für alle, außer für den Spüldienst, eine Stunde Erholung. In dieser Zeit mussten sich alle im Freien aufhälten. Der einzige Raum, den man in dieser Zeit im Haus betreten durfte, war der Lesesaal. Sehr beliebte Beschäftigungen waren in dieser Zeit Fußball, Völkerball und Tischtennis im Freien.

Um 14.30 Uhr begann das Studium, die Zeit, in der die Hausaufgaben gemacht werden sollten. Die Schüler begaben sich dazu zurück in die Schulklassenräume und studierten unter Aufsicht eines älteren Schülers, der vorne am Pult saß und darauf achtete, dass sich auch jeder mit Schularbeiten beschäftigte und kein Wort geredet wurde. Im ganzen Haus, also auch in den Klassenzimmern, herrschte strenges Silentium. Um 16 Uhr gab es Kaffee und Marmeladebrot. Nachmittags wurde auf Margarine verzichtet.

Die Handarbeitszeit, die nach dem Kaffee auf dem Programm stand, war nicht etwa eine Zeit zum Stricken und Häkeln. Die einen waren abkommandiert zum Kartoffelschälen, andere fegten die Klassenzimmer, die Schlafsäle, die Gänge, zupften Unkraut im Garten, trugen in der Winterzeit Holz und Kohlen in die Zimmer der Patres, säuberten die Toiletten oder sammelten Abfälle auf dem Gelände auf. Die Art der Beschäftigung wechselte jede Woche.

Um 17 Uhr begann der zweite Teil der Studierzeit. Dieser zweite Teil dauerte wieder anderthalb Stunden und wieder in den Schulzimmern.

Um halb sieben am Abend war Zeit für die Abendandacht in der Kapelle. An bestimmten liturgisch bedeutsamen Tagen verkündete das Schildchen am schwarzen Brett „Heute ist Segen.“ Dies bedeu- tete, das allerheiligste Altarsakrament, der mit einem Tüchlein bedeckte Speisekelch mit den ge- weihten Hostien, aus dem Tabernakel genommen und bei geöffnetem Tabernakel nach vorne auf den Altartisch gezogen wurde oder bei hohen Festen die Monstranz auf den Tabernakel gestellt wurde. Dies bedeutete, dass beim Eintritt in die Kapelle eine so genannte doppelte Kniebeuge ge- macht werden musste, also mit beide Knien auf den Boden und dabei den Körper nach vorne nei- gen, und dass in der Bank nicht gesessen werden durfte. Jede Andacht schloss mit dem Gebet "in der Meinung des Heiligen Vaters". Mit einem zusätzliche Aushang am schwarzen Brett wurde man informiert, was die Meinung des Papstes war, wofür er also selbst betet und wozu er alle Gläubige aufforderte, mit ihm zu beten.

Im Mai war außer der Reihe die tägliche Marienandacht, im Oktober wurde bei abgeschaltetem Licht der Rosenkranz gebetet mit anschließendem Sakramentalem Segen.

Dann gab es noch die Ewige Anbetung am Herz-Jesu-Freitag, dem ersten Freitag im Monat, und an den Fasnachttagen für die Sünden der Welt in diesen Tagen. Die Ewige Anbetung erfolgte in Grup- pen während des ganzen Tages bis zum Morgen danach zum Beginn der Morgenmesse.

Sonntags durfte man eine halbe Stunde länger schlafen. Da Sonntags keine Schule war, fanden zwei Got- tesdienste statt, die Frühmesse und das feierliche Hochamt, in dem der Gregorianische Choral ge- pflegt wurde. Was am Sonntagmorgen an Zeit übrig blieb, stand uns als Freistudium zur Verfü- gung; jetzt durfte man lesen, sollte Briefe schreiben, basteln, zeichnen oder malen. An dieser Stelle sollte vielleicht darauf hingewiesen werden, dass jede Post, die aus-und einging, einschließlich Briefe an die Eltern, von P. Superior mitgelesen wurde. Jeder Brief, jedes Paket musste bei ihm geöffnet abgegeben werden oder konnte nur von ihm geöffnet und gelesen in Empfang genommen werden .

Sonntags und Mittwochs war Spaziergang, im Sommer von16 bis 18 Uhr, im Winter von 14 bis 16 Uhr. In den unteren Klassen waren alle Schüler gemeinsam unterwegs. Voraus ging ein Pater, und das Ende des wandernden Schülerwurms bildeten zwei ältere Schüler. Die Spaziergänge führten durch die Landschaft und die Dörfer der Umgebung. Mindestens einmal wurde während des Spaziergan- ges eine Kirche oder eine Kapelle besucht. Rosenkranz, Schnur, Taschentuch und Taschenmesser hatte ein Missionsschüler auf Wanderschaft immer mit sich zu führen.

Die Schüler der oberen Klassen durften klassenweise spazieren gehen, die Oberprimaner genossen das Privileg, sich in Dreiergruppen ("Numquam duo, semper tres") auf den Weg machen zu dürfen. Einkäufe und der Besuch von Lokalen waren streng untersagt.
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