Burkhardt Waldecker

Burkhardt Waldecker (*1902 in Westfalen - ?), Dr. phil., war ein deutscher Afrikaforscher, dem 1937 gelang, was anderen trotz größten Einsatzes nicht vergönnt war, die südlichste Quelle des längsten Flusses der Erde, des Nils, den Kasumo in den Mondbergen Burundis zu entdecken bzw. kartographisch zu bestimmen.

Der Altphilologe Waldecker, der 1930 in Berlin promoviert wurde, hatte sich der Verfolgung durch die Nationalsozialisten in Deutschland entzogen. Er war nach Afrika geflohen und hatte dort um 1937/38 nach den Quellen des Nils geforscht, diese finden und kartographieren können. Diese Quelle, genauer: zwei „kaum ½ m breite Rinnsale“1 war zwar bereits 1893 von dem österreichischen Afrikaforscher Dr. Oscar Baumann (1864 – 1899) als erstem Europäer während seiner „Massai-Expedition“ aus etwa 1 km Entfernung „in reinen Regenschluchten“1 bestimmt, aber nicht benannt oder kartographiert worden. Baumann spricht lediglich davon, dass er die Quellen des Nils – anders als Stanley 1874 - erreicht habe und dass es von „nebensächlicher Bedeutung“ sei, „welche der beiden Quellen als Ruvuvu, als Nil zu bezeichnen sei“1 .

Die Entdeckung der Nilquellen wurde nicht nur durch die geographischen, kriegerischen und medizinischen Verhältnisse oder die üppige Vegetation erschwert, sondern auch durch die große Anzahl möglicher Nilquellen in einem großen Gebiet. Jahrhunderte lang barg diese Frage ein großes Geheimnis und einen ebenso großen Anreiz, das Geheimnis zu lösen. Schon der römische Dichter Lucanus(39 v.Chr. – 65 n.Chr.) lässt Caesar sagen: „Nichts wollte ich lieber, als die Geheimnisse des Nil kennen, der sich so viele Jahrhunderte verborgen gehalten, wollte erforschen seine unbekannte Quelle“ (zitiert nach 4). Auch war unter den Forschern die Frage strittig, ob die Wassermenge oder der südlichste Punkt die Entscheidung für den Nilursprung bringen sollte. So wurden immer wieder neue Ergebnisse der Afrikaforschung präsentiert, etwa 1889 eine der Nilquellen von dem deutschen Forscher und späteren Psychiater Dr. Richard Kandt (1876 – 1918), der mit dem Rukarara-Nyabarongo in Ruanda den stärksten der Quellflüsse des Nils entdeckt hatte. Waldecker hat 1937 (er schreibt 1938, da aber war die Nilquelle schon entdeckt, Anm.) seinen westfälischen Landsmann Friedrich Stracke (*24.2.1889, Würdinghausen – 1968, Burundi), einen Priester und Missionar der katholischen Missionsgesellschaft der „Weißen Väter“ (Afrikamissionare), noch vor den Nilentdeckung in Usumbura (Burundi) getroffen. Stracke hat in seinem Buch „Capita Nili“2 darüber und über den Forscher Waldecker ausführlich berichtet.

Pater Stracke beschreibt Waldecker als ärmlich gekleidet und bescheiden, ohne ein Fahrzeug und Dienerschaft oder „Boy“, nur mit zwei Blechkisten, was ihn bei der einheimischen Bevölkerung zunächst einen geringen sozialen Status eintrug. Er unterschied sich deutlich von den anderen Kolonialherren. „Er wartete geduldig auf eine Gelegenheit, mit seiner Bettstelle und zwei Blechkisten hinaufzufahren ins Mondgebirge und dort die Quellen des Nils zu suchen. Caput Nili quaerere! (Die Nilquellen suchen!) Das bedeutete für den Lateiner etwas völlig Aussichtsloses unternehmen, etwas Nutzloses, Unerhörtes. – Ich muss gestehen, ich habe meinem Landsmann mit Zweifeln und Kopfschütteln nachgeblickt.“2 Doch Waldecker findet tatsächlich unter Dutzenden von Kandidaten den winzigen Quellfluss des Weißen Nils. Er entspringt am südlichsten Punkt aller Zuläufe unterhalb des Berges Kikizi als Kasumo (auch: Gasumo oder Mukasenyi), was Wasserfall oder Bergbach bedeutet, und geht in den Luvironza und den Ruvuvu (Nilpferdfluss) über, der schließlich in den schiffbaren Kagera und den Viktoria-See mündet. Am Berg Kikizi befindet sich das „Dach Afrikas“, die Wasserscheide zwischen den Nil und dem Kongo, dem Mittelmeer und dem Atlantik. Die Quelle des Weißen Nils wird von einer Steinpyramide markiert, die Waldecker 1937/38 selbst erbaut hat. Die geographischen Daten der Nilquelle sind S3°55‘ und E29°51‘; sie liegt auf 2440 m Höhe (2).

Friedrich Stracke ließ sich von den Einheimischen erzählen, wie „Rukwabargara“ gelebt, geforscht und gearbeitet hat; diesen Namen haben sie Waldecker – neben zwei anderen Übernamen – gegeben: „der Mann, der sich kratzt“. Niemand von der einheimischen Bevölkerung hatte dem unheimlichen Mann helfen wollen; keiner mochte die Sandflöhe aus seinen Füßen bohren. „Kein Wunder, dass er unter dieser Plage Afrikas litt und sich kratzen musste“2. Daher also der Übername. Die Sandflöhe setzten ihm so zu, dass er sich Lappen um die Füße wickelte und sich in einem Tagestuhl transportieren lassen musste. Niemand hatte dem geisterhaften Mann das Essen gekocht und wenn er es selbst zubereitet hatte, dann jagte er Darbende davon, weil er sich offensichtlich selbst nur wenig Essen leisten konnte. Die Verständigung mit ihm war für die schwarzen Bauern schwierig, da er nur Kiswahili sprach. Doch „unermüdlich folgte er den Flussläufen, stieg auf die höchsten Berge, und viel, viel schrieb er auf. Endlich ließ er sich nieder beim Häuptling Bucenyegeri, wo er ein sonderbares Haus baute: eigentlich ein Dach ohne Haus: man nennt es Iperamidi (Pyramide)“2. Die Einheimischen rätselten lange, was der Waldecker da baute; schließlich kam man zum Schluss, es müsse eine Geisterhütte für seine Ahnen sein – jedenfalls hielt man sich dem Gebäude fern.

Der Bau ging langsam voran, 30 schwarze Arbeitskräfte halfen, die ihm andere Europäer gestellt hatten. Waldecker packe selbst viel an. Er konnte die Steine sehr genau in der Pyramide platzieren, da er vorher genau gemessen hatte. Doch zweimal stürzte der Bau ein und einmal lag Waldecker zwei Wochen krank in seiner Hütte. Und immer wieder gab es Ärger mit den Arbeitern, weil man sich nicht auf einen frühen Feierabend einigen konnte. Seine Bescheidenheit, seine Friedfertigkeit und sein Arbeitseifer beeindruckte die Bevölkerung so, dass sie ihn schließlich – nach Angst, Missachtung und Staunen – liebten. Doch plötzlich war der Forscher verschwunden; im Hohlraum der Pyramide fand man nur frische Blumen in einer Vase mit Nilwasser. Der Lateiner Waldecker hinterließ an der Pyramide eine längere Inschrift in lateinischer Sprache, deren Anfang lautete: „PYRAMIS AD CAPUT NILI MERIDIONALISSIMUM“2 (Pyramide an der südlichsten Stelle des Nils).

1950 war Waldecker Attaché am Museum Leopold II. in Elisabethenstadt3 (wohl: Rumänien).

Quellen:
  1. Baumann, Oscar (1894): Durchs Massai-Land zur Nilquelle. Berlin: Reimer.
  2. Stracke, Friedrich (1952). Capita Nili. Roman einer uralten Frage. Balve: Gebrüder Zimmermann.
  3. Devroey, E .J. (1950). Les Sources du Nil. Brüssel: Marcel Hayez.
  4. Kandt, Richard (1904), Caput Nili. Empfindsame Reise zu den Quellen des Nil. Berlin: Reimer


Raimund Pousset

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