Der Klepfer-Geist

Anmerkung des Webmasters: Raimund Pousset hat diesen Bericht nach dem 111. Jubiläumsfest am 21.2.2014 geschrieben. Er nahm dabei Bezug auf den "Klepfer-Geist", der nach einhelliger Meinung der Anwesenden bei dem Fest herrschte.

Deutschland hatte sich am Abend unseres Jubiläumsfestes nach einem spannenden und kampfbetonten Spiel 2:2 von der derzeit besten afrikanischen Fußballmannschaft getrennt. Wir haben erlebt: Ghana hätte auch siegen können. Das war für unsere afrikanische Stimmung an dem Abend sicher ein faires Highlight.

Auf der Rückfahrt nach Hause habe ich meine Frau, Utta Heidler, gefragt, wie sie das Fest erlebt hatte. Das haben vermutlich all die vielen, deren Partnerinnen oder Familienangehörige erfreulicher Weise mitgekommen waren, auch getan. Sie meinte: „Es war eins der schönsten Feste, die ich je erlebt habe. Es war wie eine Familie und ihr habt von innen geleuchtet. Ich konnte spüren, warum die Menschen hier zusammenkamen; ich konnte das ehemalige gemeinsame Ziel erleben. Ich fand schön, dass sich die Menschen Gedanken über den Ablauf gemacht und trotzdem der Entwicklung des Festes freien Lauf gelassen haben. Und die Frauen hatten alles sehr liebevoll vor- und zubereitet.“

Ich konnte dem nur zustimmen! Das wunderschöne Städtchen Haigerloch mit seinem imposanten Missionshaus hoch über der Eyach in Sichtweite von Schloss und Römerturm hat offenbar weniger einen genius loci (wie er z.B. Heidelberg immer wieder nachgesagt wird), als das Missionshaus allein einen genius socii, den Geist der Bundesgenossen. Den kann man etwas lapidar auch Klepfer-Geist nennen, so wie es Freddy in seinen Anmerkungen zuvor getan hat. Aus dem Klepfer-Geist heraus war es von Anfang an unausgesprochen klar, dass wir uns alle duzten. Auch nach über 50 Jahren oder vorher nie begegnet. Bei Pater, Pauker und Pennäler war keine Scheu oder taktisches Abwägen zu spüren: wir waren eben alle Klepfer und durch den selben Brennofen gegangen. Verschieden waren nur die Gefäße geworden. Die meisten waren mit lebendiger Familie gefüllt. Wäre Rom einst weiter gewesen, hätten wir vermutlich auch Priestergefäße mit Familie gefüllt erleben können. So blieben geistige und reale Familie doch getrennt, nicht aber die emotionale der Klepfer. Wer nur fehlte, war unser Otto; Pater Otto Mayer. Der letzte Weiße Vater, den das Missionshaus hervorgebracht hatte. Wir hatten schon im Vorfeld für sein Ticket zusammenlegen wollen, um ihn zum Jubiläumsfest herfliegen zu lassen. Er konnte aber nicht kommen; er war zu stark in den Jahresabschluss seiner neuen Gemeinschaft im Ost-Kongo eingebunden. Doch nächstes Jahr ist er wieder dabei.

Belebend war das weltlich-weibliche Element: Ehefrauen und Töchter, Jugendtrefflerinnen und Enkel. Insgesamt die Frauen-„Mann“-schaft, das Team, das das Catering und die Organisation stemmte. Im Hintergrund tragend war das geistlich-männliche Element, das besonders von Franz (Superior Pfaff) repräsentiert wurde. Ich fand schön, dass der rector spiritus des Festes und andere Weiße Väter afrikanische Kleidung trugen. Ich hatte mich nicht getraut, obwohl drei Afrika-Hemden in meinem Schrank hängen. Trotz des wirklich sehr langen Tages war die Zeit zu kurz, um mit dem oder dem intensiv sprechen zu können. Einige Verabredungen zum Neubeginn hat es aber gegeben. Bewegt haben mich drei längere Gespräche, in denen heute noch virulente Verletzungen spürbar wurden. Ich wünsche mir, dass dieser Tag, an dem wir das Bedauern über eine überharte Erziehung hörten und spüren konnten, einem Tag und in dessen Vorfeld, an dem „gemerkt“ werden konnte, letzte Heilung bringt. Wer aus Verbitterung oder Desinteresse nicht kam, hat diese Chance vorüberziehen lassen.

Als ich im Auto mit Jupp Seidler-Eberhardt den Annaweg hochfuhr - meine Frau war zum sehenswerten Haigerlocher Rosengarten vorausgegangen -, kamen uns zwei Patres aus dem Missionshaus entgegen. Ich hielt an, öffnete das Fenster und wir verabschiedete uns. Im Rückspiegel sah ich die beiden den schmalen Weg nach unten laufen, den ich so oft gegangen und manchmal mit dem Schlitten gefahren war. Wäre ich vor ziemlich genau 50 Jahren nicht weggegangen, hätte ich einer von ihnen sein können. Vielleicht hätte ich dann wie kürzlich noch Pater Zender seinen dementen Mitbruder liebevoll geführt und gepflegt. Das Missionshaus ist heute modern geworden; da, wo oft genug „Schwarze Pädagogik“ betrieben worden ist, lebt heute die „Weiße Geragogik“, still und liebevoll. Wo einst die Stollen der Fußballschuhe über die Fliesen nagelten, rattert heute der Rollator über die Rampe. Die Weißen Väter haben eine starke christliche Antwort auf den demographischen Faktor gefunden.

Raimund Pousset

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